Der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (M - CDU) spricht am Freitag im Staatsministerium in Stuttgart im Rahmen einer Pressekonferenz über die Ereignisse rund um die ersten Baumfällarbeiten im Stuttgarter Schlossgarten für das milliardenschweren Bahnprojekt Stuttgart 21. Foto: dpa

Stuttgart 21 stellt das Land auf eine harte Probe. Ministerpräsident Mappus mahnt zur Mäßigung.

Stuttgart/Berlin - Nach der Eskalation im Konflikt um das Milliarden-Bahnprojekt Stuttgart 21 hat sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) bemüht, die Wogen zu glätten. „Die Bilder von gestern dürfen sich nicht wiederholen“, appellierte der CDU-Politiker am Freitag in Stuttgart. „Es darf keine weitere Eskalation, keine weitere Verletzten bei Demonstranten und Polizisten geben.“

Mappus verteidigte das Vorgehen der Einsatzkräfte, die von Demonstranten unter anderem mit Flaschenwürfen provoziert worden seien. Am Abend wollten wieder zehntausende Menschen gegen Stuttgart 21 auf die Straße gehen. Ein Sprecher des Aktionsbündnis ging sogar von bis zu 100.000 Menschen aus.

Mappus ruft zu neuen Gesprächen auf

Mappus bedauerte mit Blick auf die zahlreichen Verletzten, „das ein solches Vorgehen notwendig geworden ist“. Landesinnenminister Heribert Rech (CDU) gab den Demonstranten die alleinige Schuld für die Gewalt. „Wir haben im Augenblick keinerlei Anhaltspunkte für Fehlverhalten der Polizei.“ Mappus rief die Projektgegner auf, den Gesprächsfaden mit den Befürwortern wieder aufzunehmen. „Ich habe immer gesagt, dass meine Hand ausgestreckt bleibt.“ Das „Jahrhundertprojekt“ Stuttgart 21 dürfe aber nicht infrage gestellt werden. Am Donnerstag hatten die Demonstranten in Sprechchören „Mappus weg“ gerufen und ihn vielfach als „Rambo“ bezeichnet.

Die Grünen gaben Mappus die Verantwortung dafür, dass die Polizei am Donnerstag im Stuttgarter Schlossgarten mit Wasserwerfern, Reizgas und Schlagstöcken gegen Demonstranten vorging. Dabei hatten bis zu 400 Demonstranten Augenreizungen erlitten, einige trugen Platzwunden und Nasenbrüche davon. Der Regierungschef wolle friedliche Demonstranten in die Gewaltecke stellen, sagte Landtagsfraktionschef Winfried Kretschmann. „Mappus will sich als Law-and-Order-Mann profilieren.“ Dafür nehme er eine tiefe Spaltung in der Gesellschaft in Kauf. Grüne und SPD wollen Rech und den Polizeipräsidenten nächste Woche im Innenausschuss laden.

Auch Bundesregierung fordert neuen Dialog

Die Bundesregierung mahnte neue Gespräche zwischen Gegnern und Befürwortern an. Es gebe viele Möglichkeiten, die Interessen und Sorgen der Bürger bei der Ausgestaltung des Projektes aufzunehmen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Voraussetzung dafür sei, dass beide Seiten „in guter Absicht“ in solche Gespräche gingen. Ein Baustopp komme aber nicht infrage.

Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) forderte von beiden Seiten, aufeinander zuzugehen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verband das Bauvorhaben erneut mit der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 27. März. Bei der Wahl gehe es auch um die Zukunftsfähigkeit des Landes insgesamt, sagte Merkel im SWR. Zu den Protesten am Donnerstag sagte sie: „Ich wünsche mir, dass solche Demonstrationen friedlich verlaufen. Das muss immer versucht werden, und alles muss vermieden werden, was zu Gewalt führen kann.“

Grünen-Chef Cem Özdemir übte scharfe Kritik an Merkel, weil sie nur die Demonstranten zur Friedfertigkeit aufrief. „Sie hätte ihren Appell an den Innenminister und an ihre Parteifreunde der CDU in Baden-Württemberg richten müssen - von denen geht die Gewalt aus.“

Die Lage auf dem Baufeld für Stuttgart 21 im Schlossgarten blieb am Freitag angespannt. Tausende Demonstranten hatten in der Nacht lautstark und heftig gegen das Fällen der ersten 25 Bäume protestiert. Von Mitternacht an durfte gefällt werden, gegen 1 Uhr liefen die Kettensägen. Bagger rissen Bäume aus dem Boden. Innerhalb kürzester Zeit lag einen Gutteil der ersten 25 Bäume flach. Mehr als 1000 Polizisten sperrten das Areal nahe des Hauptbahnhofs ab. Die Baumfällarbeiten sollen laut Polizei am Freitag vorübergehend abgeschlossen werden.

Die Polizei sprach am Morgen von gut 1500 bis 3000 Demonstranten. „Friedlich ist was anderes“, sagte ein Sprecher. Immer wieder seien aus der Menge der Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 heraus Flaschen und Kastanien in Richtung Polizei geflogen. Vermummte Demonstranten hätten wiederholt versucht, über die Absperrgitter zu klettern. Die Beamten setzten erneut Pfefferspray ein.

Situation für Polizei "gänzlich neue Dimension"

Polizeipräsident Stumpf erläuterte, die Situation im Schlossgarten am Donnerstag habe für die Polizei eine „gänzlich neue Dimension gehabt“. Die Zahl der Straftaten gegen Polizisten bezifferte Stumpf auf 15. Es habe 30 Strafanzeigen und 29 Festnahmen von Demonstranten gegeben. Deren Sprecher erhoben schwere Vorwürfe gegen die Polizei. Matthias von Herrmann von der „Initiative Parkschützer“ sagte in der ARD, die Protestierenden würden kriminalisiert. Die Gewalt sei ausschließlich von der Polizei ausgegangen. „Es gab Schläge ins Gesicht und an die 400 Augenverletzungen durch Tränengas.“

Ein 22-jähriger Mann wurde schwer am Auge verletzt. Der Chefarzt der Stuttgarter Charlottenklinik für Augenheilkunde, Gangolf Sauder, sagte der Nachrichtenagentur dpa, der junge Mann habe auf dem rechten Auge einen frontalen Wasserwerferstrahl abbekommen. „Es kann sein, dass der Mann auf dem Auge nie mehr sehen kann.“

Die Gewerkschaft der Polizei nahm die Beamten gegen Vorwürfe in Schutz. Den Polizisten sei von Anfang an ein hohes Aggressionspotenzial entgegengeschlagen, sagte GdP-Chef Konrad Freiberg in Berlin. „Natürlich haben die Gegner des Projektes ein Interesse, die Polizei in ein schlechtes Licht zu stellen. Am Ende des Tages wird sich aber einiges relativieren.“

Der Bundestags-Innenausschuss wird sich erst am kommenden Mittwoch mit den Auseinandersetzungen in Stuttgart beschäftigen. Die kurzfristig von der Opposition beantragte Sondersitzung war nach Ansicht des Unions-Innenexperten Hans-Peter Uhl eine reine Inszenierung. Der Linke-Innenexperte Jan Korte warf Union und FDP vor, sich aus der Verantwortung ziehen zu wollen.

Das Projekt Stuttgart 21 sieht den Umbau des Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation und deren Anbindung an die geplante ICE-Neubaustrecke nach Ulm vor. Die Bahn rechnet mit Gesamtkosten von sieben Milliarden Euro. Kritiker befürchten eine Kostensteigerung auf bis zu 18,7 Milliarden Euro.