Nach dem Raketeneinschlag in Polen loben die russischen Propagandisten: „Hört auf den stets gut informierten Mann!“ Foto: AFP/SAUL LOEB

Der Kreml pflegt nach dem tödlichen Einschlag an der ukrainisch-polnischen Grenze weiter das Narrativ von der russischen Unschuld und spricht immer öfter vom dritten Weltkrieg. Der US-Präsident wird für seine Besonnenheit gelobt.

Ein schwarzer Tag für Selenskyj“, titelt die große staatsnahe russische Boulevardzeitung „Komsomolskaja Prawda“ am Tag nach dem Raketeneinschlag an der ukrainisch-polnischen Grenze. Für die Redaktion in Moskau ist schnell klar: „Die Ukraine hat eine Rakete über Polen abgeworfen und es nicht geschafft, den Vorfall auf Russland zu schieben.“ Im Text ist von westlicher Hysterie die Rede, von Selenskyj, dem „Komiker-Präsidenten“, mit dem es „nicht langweilig“ werde. Es sind die bekannten Versatzstücke des russischen Narrativs, der Westen benutze die Ukraine, um Russland in die Knie zu zwingen. Jegliche Verantwortung für die erklärte Vernichtung des Nachbarlandes weist Russland seit Monaten weit von sich. Für Moskau ist es der Westen, der ihm den Krieg, den es freilich nicht Krieg, sondern „militärische Spezialoperation“ nennt, aufzwingt. Die „Argumentation“ folgt dadurch stets derselben Linie: Der Westen sei an keinerlei Untersuchungen interessiert, der Westen eskaliere, der Westen kaufe der Ukraine allerlei Lügen ab.

Die Reaktionen in den russischen Sendern sind zynisch

Die Erklärung, bei dem tödlichen Einschlag handle es sich „höchstwahrscheinlich“ um ukrainische Luftabwehr, wie es Polens Präsident Andrzej Duda am Mittwoch mitteilte, wobei die EU die Verantwortung für den Krieg bei Russland sieht, überziehen russische Propagandisten mit Häme. „Warum mussten sie überhaupt etwas vom Himmel holen?“, fragt zynisch Wladimir Solowjow in seiner Abendsendung im Staatssender Rossija 1. „Und, wird uns die Nato nun einen Krieg erklären? Soll sie doch! Wir haben 6000 Sprengköpfe, die endlich eingesetzt würden“, sagt er frohlockend auch Stunden später in seiner Radiosendung.

Vom „nahenden dritten Weltkrieg“ sprechen auch der einstige russische Präsident Dmitri Medwedew, der seit Beginn der „Spezialoperation“ menschenverachtende Kommentare auf seinem Telegram-Kanal veröffentlicht, und die RT-Chefin Margarita Simonjan. „Fall über Überfall, nur eine kleine Vorsilbe trennt uns vom dritten Weltkrieg“, schrieb sie in der Nacht auf Mittwoch bei Telegram und sieht die Schuld an der „Katastrophe“ bei der Ukraine, der sie „Versagen auf ganzer Linie“ bescheinigt. Die „Komsomolskaja Prawda“ geht derweil der Frage nach: „War der Einschlag in Polen ein Fehler oder eine Provokation der ukrainischen Führung?“ Für das russische Verteidigungsministerium ist die Antwort darauf bereits am Abend des Raketeneinschlags in Przewodów klar. „Die Äußerungen aus Polen über den angeblichen Abwurf ,russischer Raketen‘ sind eine bewusste Provokation, um die Situation zu eskalieren. Russland hat keine Ziele nahe der ukrainisch-polnischen Grenze mit russischen Vernichtungsmitteln angegriffen. Die publizierten Überreste vom Tatort haben nichts mit russischen Waffen zu tun“, heißt es in der offiziellen Erklärung aus Moskau. Diese Erklärung ist die Grundlage dafür, wie in russischen Medien über die angespannte Lage in Polen berichtet wird.

Für Moskau sucht die Schuld gleich bei der Ukraine

In den Nachrichtensendungen am Mittwoch lamentieren die Nachrichtensprecher, dass „wieder einmal“ Russland für alles Übel in der Welt verantwortlich gemacht werden solle. „Der Vorfall“, so heißt es dabei, sei „ganz klar“ auf die Ukraine zurückzuführen. Auffällig bei allen Äußerungen – im Fernsehen, in Zeitungen oder in kremlloyalen Telegram-Kanälen – ist der Lobgesang auf US-Präsident Joe Biden. Dem 79-Jährigen, der in staatlichen russischen Medien stets als „dementer Trottel“ vorgeführt wird, bescheinigen die russischen Kommentatoren – plötzlich und durchsichtig – Besonnenheit. Biden zufolge ist ein Abschuss aus Russland unwahrscheinlich. Es könne sich um eine ukrainische Flugabwehrrakete gehandelt haben, hatte er schon früh am Rande des G20-Gipfels auf der Insel Bali gesagt. Und die russischen Propagandisten loben: „Hört auf den stets gut informierten Mann.“