Nach dem Großeinsatz der Polizei in der Flüchtlingsunterkunft in Ellwangen steht jetzt alles im Zeichen der Versöhnung. Foto: dpa

Eine Woche nach dem umstrittenen Großeinsatz der Polizei in einer Flüchtlingsunterkunft schildern Flüchtlinge in Ellwangen der Polizei ihre Sorgen und Ängste. Ein Schritt hin zur Versöhnung.

Ellwangen - Gerhard Schneider ist zur Mahnwache gekommen. Selbstverständlich sei das, sagt der 75-jährige Ellwanger. „Wenn Flüchtlinge so mies behandelt werden, muss man protestieren.“ Schneider gehört zur Gruppe „Mahnwache Ellwangen“. Sie ist eine von mehreren, die am Mittwoch in der württembergischen Barockstadt gegen Abschiebungen im Allgemeinen und insbesondere gegen das Vorgehen der Polizei am vergangenen Donnerstag bei der Abholung eines jungen Togoers aus der Ellwanger Landeserstaufnahmeeinrichtung (Lea) protestieren.

Vor der Basilika St. Vitus am Marktplatz entrollen Schneider und seine Mitstreiter – die Zahl lässt sich an zwei Händen abzählen – ein Spruchband. „Miteinander leben, Vorurteile abbauen, Ausgrenzung verhindern, Gewalt überwinden“, ist darauf zu lesen. „In Deutschland ist das Asylrecht von den Politikern ausgehöhlt worden“, schimpft der Aktivist. „Rassismus und Fremdenfeindlichkeit machen sich breit.“

Was sich am 3. Mai bei dem Großeinsatz in der Lea Ellwangen abgespielt habe, sei ein „bürgerkriegsähnlicher Polizeieinsatz“ gewesen, kritisiert die Freiburger „Aktion Bleiberecht“. Junge Männer aus Westafrika erklären Reportern, es gelte Solidarität zu zeigen. Solidarität besonders mit jenen der zurzeit rund 450 Bewohner der Lea, „die weggebracht werden sollen“.

Zwei Frauen und vier Männer aus Afrika schildern ihre Ängste

Den meisten drohe die Rückführung nach Italien, sagt Lea-Leiter Berthold Weiß. Das Wort „droht“ entspreche dabei dem subjektiven Empfinden der Betroffenen. Für viele Flüchtlinge verbänden sich mit dem Land, in dem Deutsche gern Urlaub machen, schlimme Angstvorstellungen.

Genau das schildern im Rathaus von Ellwangen sechs Afrikaner aus der Lea – zwei Frauen und vier Männer – jenen Polizisten, die den Großeinsatz am 3. Mai befehligt hatten, unter ihnen Einsatzleiter Peter Hönle vom Polizeipräsidium Aalen. „Wir haben ihnen gesagt, was mit uns passiert, sobald wir in Mailand landen“, sagt später eine Frau, die nicht namentlich genannt und nicht fotografiert werden will. „Da wartet auf uns schon am Flughafen der Zuhälter mit der dicken Goldkette – wir landen wieder alle auf dem Strich. Und unsere Männer müssen als Tagelöhner schuften und auf der Straße schlafen.“

Einsatzleiter Hönle steht nach dem Gespräch hinter verschlossenen Türen, das die Stadtverwaltung Ellwangen vermittelt hatte, sichtlich unter dem Eindruck der Schilderungen. „Viel Empathie, völlige Offenheit“, sagt er. „Wir haben unsere verschiedenen Wahrnehmungen dargestellt, das war lehrreich für beide Seiten.“ Auch weil es offenbar auf beiden Seiten Angst gebe. Einig sind sich alle Beteiligten: Das Gespräch habe Weichen gestellt in Richtung Versöhnung, keine Spur von „bürgerkriegsähnlichen“ Stimmungen. „Sie haben uns gesagt, warum sie nicht wieder nach Italien wollen und warum Deutschland für sie – wörtlich – ein Traum ist.“

Regelmäßig werden Flüchtlinge von der Polizei abgeholt

Lea-Leiter Weiß sagt, er sei „völlig überzeugt“, dass die Lage in der Flüchtlingsunterkunft sich normalisieren werde. Zu dieser Normalität gehört allerdings, dass wie bisher regelmäßig Flüchtlinge von Polizisten abgeholt werden – meist in der Nacht – weil sie in das Land ihrer nachweislich ersten EU-Ankunft zurückgebracht werden sollen.

Und auch das gehört zur Ellwanger Normalität: Im vergangenen Jahr gab es laut Weiß rund 130 Versuche der Polizei, Flüchtlinge abzuholen. Nur 25 davon gelangen. „Abgelehnte Asylbewerber rechnen damit, dass sie geholt werden“, schildert Weiß. „Sie schlafen dann in anderen Räumen oder verstecken sich auf dem Gelände und die Polizei zieht wieder ab.“ Mit erneutem aktiven Widerstand rechnet Weiß nicht. Vor allem weil es der Polizei am 3. Mai offenbar gelungen sei, Männer, die zur Gewalt angestiftet hatten, festzunehmen.

In absehbarer Zeit, sagt Hönle, werde man für Abholungen wieder in normaler Stärke kommen. Am Montag der vergangenen Woche, als sich die Polizei angesichts einer anscheinend gewaltbereiten Menge von mehr als 150 Afrikanern zurückzog, waren vier Polizisten im Einsatz. Aus „Fürsorge für unsere Beamten“, so Hönle, dürften es bei den nächsten Rückführungsaktionen immer noch deutlich mehr sein, vorsichtshalber. „Aber wir nähern uns dem Normalmaß wieder an. Und wir verstehen die betroffenen Menschen jetzt viel besser.“