Nach einwöchiger Geiselhaft sind die OSZE-Beobachter wohlbehalten heimgekehrt. Im Osten und Süden der Ukraine eskaliert allerdings die Gewalt.

Nach einwöchiger Geiselhaft sind die OSZE-Beobachter wohlbehalten heimgekehrt. Im Osten und Süden der Ukraine eskaliert allerdings die Gewalt.

Moskau/Berlin - Nach acht Tagen Geiselhaft sind die in der Ostukraine festgesetzten OSZE-Militärbeobachter wieder frei. Die Männer, unter ihnen vier Deutsche, landeten am Samstagabend an Bord einer Bundeswehr-Maschine in Berlin. Der Leiter der Beobachtermission, der deutsche Oberst Axel Schneider, äußerte sich erleichtert. „Von uns fällt im Moment ein beträchtlicher Druck“, sagte Schneider bei einem Zwischenstopp in Kiew. „Die Anspannung war enorm.“

Parallel eskalierte in der Ukraine die Gewalt: In den östlichen Städten Kramatorsk und Slawjansk gab es bei Kämpfen ukrainischer Truppen mit moskautreuen Aktivisten mehrere Tote. Im südukrainischen Odessa waren bei Straßenschlachten und einem durch Brandbomben verursachten Hausbrand am Freitag mindestens 46 Menschen gestorben und mehr als 210 wurden verletzt.

Die prorussischen Separatisten in Slawjansk hatten ihre Geiseln am Samstag dem Kreml-Sondergesandten Wladimir Lukin übergeben. Außerhalb der Stadt nahm der Generalsekretär des Europarats, Thorbjørn Jagland, die Männer in Empfang. Freigelassen wurden vier Deutsche, ein Däne, ein Pole, ein Tscheche sowie fünf ukrainische Soldaten, die als Begleiter dabei waren. Ein chronisch kranker Schwede war schon vor einigen Tagen freigekommen.

Oberst Schneider berichtete, in den vergangenen Tagen habe es für das OSZE-Team eine „ständig steigende Bedrohung“ gegeben. Nach Beginn der Offensive von Regierungseinheiten gegen die prorussischen Separatisten „kam sprichwörtlich das Feuer von Handwaffen und von Artillerie immer näher. Und wir waren hier zur Untätigkeit verurteilt“.

Der Sondergesandte des Kremls, Lukin, betonte, dass die „Volksmiliz“ in Slawjansk die Männer als „edle Geste“ freigelassen und auf einen Austausch gegen inhaftierte Gesinnungsgenossen verzichtet habe. Im Gegenzug solle die Führung in Kiew nun ihre am Freitag gestartete Militäroffensive in der Region Donezk gegen die moskautreuen Separatisten abbrechen.

Besonders schwere Kämpfe tobten am Samstag in der Stadt Kramatorsk, etwa 20 Kilometer südlich von Slawjansk. Ein Fernsehturm sowie mehrere Straßensperren seien wieder in der Hand der Regierungstruppen, berichtete der ukrainische Innenminister Arsen Awakow. Bei der Offensive seien mindestens 6 Separatisten getötet und 15 verletzt worden, hieß es in Kiew. Die Regierungseinheiten hätten nach zweitägigen Kämpfen fast alle besetzten Verwaltungsgebäude von den Protestführern geräumt, teilte die Führung in Kiew mit. Ein Sprecher der moskautreuen „Volksmilizen“ bestätigte, dass in Kramatorsk nur noch eine Behörde in der Hand der Separatisten sei. Die Aktivisten würden sich nun in Slawjansk mit Barrikaden auf weitere Angriffe der Sicherheitskräfte vorbereiten, teilte einer der Sprecher der Separatisten mit.

In Donezk kam es wieder zu Gewalt

Auch in der Gebietshauptstadt Donezk kam es wieder zu Gewalt. Maskierte und mit Knüppeln bewaffnete Demonstranten nahmen am Samstagabend ein Gebäude des Geheimdienstes SBU ein. Die Polizei habe nicht eingegriffen, hieß es. Auch in der Stadt Gorlowka erstürmten moskautreue Aktivisten ein Verwaltungsgebäude.

In der Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer herrschten am Samstag Trauer und Bestürzung. In der Hafenmetropole, in der es in den vergangenen Monaten vergleichsweise ruhig geblieben war, hatten sich am Freitag Anhänger und Gegner der Übergangsregierung in Kiew schwere Straßenschlachten geliefert. Dabei wurde das zentrale Gewerkschaftshaus in Brand gesetzt, wo Dutzende Menschen starben. Die Staatsanwaltschaft zählte insgesamt es 46 Tote und 214 Verletzte.

Die prowestliche Regierung in Kiew machte die einstige Führung um den entmachteten Präsidenten Viktor Janukowitsch für die Gewalt verantwortlich. Von ihrem Exil in Russland aus habe sie die Zusammenstöße organisiert, sagte eine Sprecherin des ukrainischen Geheimdienstes SBU. Übergangspräsident Alexander Turtschinow ordnete eine zweitägige landesweite Trauer an. Russland gab hingegen der ukrainischen Regierung die Schuld. „Die Hände der Führung in Kiew stecken bis zum Ellbogen in Blut“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Er forderte die Regierung auf, die für 25. Mai geplante Präsidentenwahl in der Ukraine abzusagen.

Weiter sagte der Kremlsprecher, Russland erhalte derzeit „tausende Hilferufe“ aus dem Osten des Nachbarlandes. „Es ist der Schrei der Verzweiflung und die Bitte um Hilfe.“ Die Führung in Kiew befürchtet, dass der russische Präsident Wladimir Putin seine Truppen in die Ost- und Südukraine einmarschieren lassen könnte - mit dem Argument, wie auf der Krim russische Bürger oder Interessen schützen zu müssen. Ein Mandat für diesen Fall hatte sich Putin bereits vom Parlament geben lassen.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) äußerte sich bestürzt über die jüngsten Gewaltexzesse. „Die Tragödie von Odessa muss ein Weckruf sein! Gewalt löst nur Gegengewalt aus“, erklärte er. Steinmeier telefonierte am Samstag nach Angaben aus Moskau mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow.

Beide Minister hätten ihre Bereitschaft bekundet, gleichberechtigte Verhandlungen zwischen der Zentralmacht in Kiew und den „Repräsentanten“ im Südosten des Landes zu ermöglichen. Die Gespräche sollten unter Führung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geführt werden, teilte das Außenamt in Moskau mit.

Auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim wuchsen ebenfalls die Spannungen. 5000 Krimtataren durchbrachen eine Polizeikette und ermöglichten einem ihrer Anführer die Einreise. Mustafa Dschemilew war nach dem umstrittenen Anschluss der Krim an Russland mit einem Einreiseverbot belegt worden.