Kann trotz deutlicher Einbußen bei den Parlamentswahlen weiter allein regieren: Ungarns EU-kritischer Ministerpräsident Viktor Orban. Foto: dpa

Der ungarische Regierungschef Orban poltert gern gegen die EU. Nun kann er weitere vier Jahre regieren. Trotz Stimmverlusten hat seine Partei eine komfortable Mehrheit. Das neue Wahlrecht macht es möglich.

Der ungarische Regierungschef Orban poltert gern gegen die EU. Nun kann er weitere vier Jahre regieren. Trotz Stimmverlusten hat seine Partei eine komfortable Mehrheit. Das neue Wahlrecht macht es möglich.

Budapest - Mit Mehrheiten ist es bei Wahlen mitunter eine knifflige Sache. Vieles ist eine Frage der Arithmetik. Zu beobachten war das am Sonntag in Ungarn, als die Fidesz-Partei von Ministerpräsidenten Viktor Orban mit gerade einmal 44,5 Prozent der Stimmen zwei Drittel der Mandate und damit nach noch nicht gesicherten vorläufigen Ergebnissen erneut eine Mehrheit erobert, mit der er die Verfassung ändern kann.

Durch das Wahlrecht, das der rechtsnationale Bund Junger Demokraten (Fidesz) vor zwei Jahren zu seinen Gunsten geändert hatte, wurde aus einer relativen Niederlage mit einem Stimmenverlust von acht Prozent gegenüber 2010 ein „großartiger Sieg“, von dem Orban noch in der Wahlnacht schwärmte. „Wir haben gewonnen, und zwar nicht nur irgendwie!“, sagte er mit mehr oder weniger gespielter Ergriffenheit. Entscheidend für den gefühlten Triumph war der Gewinn von 96 der 106 Direktmandate. Insgesamt gehören im Parlament von Budapest künftig 133 der 199 Abgeordneten dem Fidesz an. Das wäre ein Mandat mehr, als für die Zweidrittelmehrheit notwendig sind.

Das Novum, dass ethnische Ungarn aus den Nachbarländern ohne Wohnsitz in Ungarn erstmals wählen durften, könnte gut ein Mandat gebracht haben. Aber auch neu zugeschnittene Wahlkreise, in denen sich einstige linke Mehrheiten in neu definierten Territorien auflösten, dürften dem Fidesz diesen oder jenen zusätzlichen Sitz im Parlament beschert haben. Und so fällt ein Schatten auf den strahlenden Wahlsieger.

In einem Wahlkreis in der Hauptstadt war das Ergebnis bei den Erststimmen allerdings so knapp, dass erst nach Auszählung der letzten Briefwahlstimmen alles klar sein wird. Der Fidesz-Kandidat führte dort am Montag mit 22 Stimmen vor seiner Rivalin vom Mitte-Links-Bündnis.

All das interessierte Orban aber nur am Rande. Bei der nächtlichen Siegesfeier schwor er seinen Landsleuten, „jeden Tag für Ungarn zu arbeiten“. Seine Regierungszeit bezeichnete er unter „Viktor, Viktor!“-Jubelrufen nach nur vier Jahren im Amt als eine „neue, großartige Ära“.

Der 50-jährige Ministerpräsident ist ein Kämpfer, der in jeder politischen Lebenslage poltert, streitet und zuspitzt. Nicht nur seinem eigenen Land will er seine Vision aufzwingen: eine Nation fleißiger Untertanen, die er als strenger, aber auch gütiger Hausvater lenkt und vor Unbill schützt. Auch mit der Europäischen Union sucht er ständig den Konflikt. Das „Brüsseler Imperium“ mit seiner Betonung auf rechtsstaatlichen Verfahren und liberalen Werten bezeichnete er einmal als Organisation „ohne Herz und Seele“.

Viele  Beobachter gehen davon aus, dass Orban auch über die kommende Legislaturperiode hinaus regieren kann. Wichtigster Grund dafür ist die dramatische Schwäche der linksliberalen Opposition. Unter Führung der Sozialisten hatten sich zwar gleich fünf Parteien zu der Wahlallianz „Regierungswechsel“ zusammengeschlossen. Doch mit 26 Prozent der Zweitstimmen und zehn Direktmandaten in Budapest entsendet das Bündnis gerade einmal 38 Abgeordnete ins neue Parlament.

Der ehemalige Regierungschef und führende „Regierungswechsler“ Gordon Bajnai erklärte in der Sportlersprache, die Opposition sei in einer derart schlechten Form, „dass wir der Mehrheit der Ungarn kein attraktives Angebot machen konnten“. Das war weit untertrieben. Selbst oppositionsnahe Medien wir das Internet-Portal „Pester Lloyd“ resümierten: „Das linke Bündnis zeigt Zerfallserscheinungen und muss sich nicht nur programmatisch und personell erneuern, sondern völlig neu erfinden.“ Das sei auch deshalb zwingend notwendig, weil andernfalls in vier Jahren „die Machtergreifung durch die Neonazis“ drohe.

Der Kommentar zielte auf den eigentlichen Wahlsieger vom Sonntag. Die rechtsextreme, offen rassistische und antisemitische Partei Jobbik (Bewegung für ein besseres Ungarn) erreichte 20,5 Prozent der Stimmen. Jobbik ist zwar wegen der Wahlarithmetik im Parlament nur mit 23 Abgeordneten vertreten. Allerdings kann man auch eine andere Rechnung aufmachen: Jeder fünfte Wähler und jeder zehnte Bürger gab den Rechtsextremen seine Stimme.

Jobbik-Chef Gabor Vona, der die Roma-Minderheit in Ungarn stets nur als Zigeuner beschimpft, hatte im Wahlkampf auf allzu radikale Töne verzichtet. „Wir wollen Recht und Ordnung“, erklärte er und sagte dem „dekadenten und heuchlerischen EU-Europa den Kampf  an“. Er setze auf „die anständigen und strebsamen Menschen“.

Wes Geistes Kind Jobbik ist, haben Vona und seine Mitstreiter allerdings schon oft genug zu Protokoll gegeben. So schlug der Abgeordnete Marton Gyöngyösi 2012 vor, die ungarischen Juden in Listen zu erfassen und stellte seine Partei damit in die Tradition des Nationalsozialismus. Später erklärte Gyöngyösi: „Der Völkermord, den Israel an den Palästinensern begeht, ist schlimmer als das, was sich die Nazis erträumt haben.“

Der Jobbik-Politiker ist damit kein Einzelfall. Auch der Publizist Zsolt Bayer, Mitbegründer der Orban-Partei Fidesz, verbreitet immer wieder antisemitische und rassistische Tiraden in der Öffentlichkeit. Die Roma in Ungarn bezeichnete er einmal als „Tiere“, die „nicht geeignet sind, unter Menschen zu leben“.

Orban hat in den zurückliegenden vier Jahren versucht, Jobbik durch eine Strategie von Umarmung und Abgrenzung zu bekämpfen. So setzte seine Regierung früh und konsequent das Verbot von Jobbiks paramilitärischer „Ungarischer Garde“ durch. Zugleich spielte er immer wieder virtuos auf der national-patriotischen Klaviatur. Die neue Verfassung, die der Fidesz 2011 durch das Parlament peitschte, wird von einem „nationalen Glaubensbekenntnis“ eingeleitet. Orbans klar definiertes Ziel ist es, das rechte Wählerpotenzial komplett für seine eigene Partei zu nutzen. Dieses Ziel hat er am Sonntag jedoch weit verfehlt.