Der erfahrene Profiler Kurt Kindermann aus Leonberg hat schon viele gefährliche Situationen erlebt. Er sagt: „Kein Kollege macht bewusst den finalen Schuss.“
Die Schießerei mit tödlichem Ausgang am Samstagnachmittag mitten in Leonberg bewegt die Gemüter. Zumal es schon der dritte Fall in kurzer Zeit ist, in dem die Polizei in der Region Stuttgart von der Schusswaffe Gebrauch machen musste. Ein unglücklicher Zusammenreihung tragischer Ereignisse?
„Man kann den Kollegen keinen Vorwurf machen", sagt Kurt Kindermann. Der erfahrene Profiler aus Leonberg gilt weltweit als einer der Koryphäen in der digitalen Gesichtserkennung. Sein Talent, detaillierte Porträtbilder zu zeichnen, hat ihn zu einem gefragten Ermittler im In- und Ausland gemacht. Als unter seiner Federführung in den Neunzigern der Erkennungsdienst bei der Kripo Stuttgart digitalisiert wird, gilt das in in internationalen Polizeikreisen als Sensation. Kindermanns Kenntnisse sind sogar beim FBI gefragt. Und cool konstatiert der Fahnder aus Deutschland: „Die kochen auch nur mit Wasser. Wir waren besser als die Amis.“
Mittlerweile ist Kurt Kindermann im Ruhestand. Doch vernetzt ist er weiterhin bestens. Und er kennt die Extremsituationen, wie jetzt in Leonberg, wo am Samstag ein 44-Jähriger in der Innenstadt aus dem Dachgeschoss eines Wohnhauses auf die Straße gefeuert hatte. Passanten wie auch die schnell anrückenden Polizisten waren gefährdet. Ein Spezialkommando stürmte schließlich das Haus. Bei einem Schusswechsel kam der mutmaßliche Täter um.
„In solchen Situationen geht es um Leben und Tod“, sagt Kindermann. „Da kann man nicht drauf vertrauen, dass die Pistole des Täters womöglich nicht echt ist.“ Im Leonberger Fall war das so. Der Schütze hatte eine Druckluftwaffe. Doch das, so sagt Kindermann, sei selbst in entspannten Situationen kaum erkennbar. „Viele nachgemachte Waffen sind von echten kaum zu unterscheiden“, meint der einstige Kripo-Mann. „Das geht nur über spezielle Kennzeichen, die auf den Waffe eingearbeitet sind.“
Auch sei es für Einsatzkräfte in einer Gefahrenlage nicht immer möglich, so präzise zu zielen, dass lediglich ein Arm oder ein Bein getroffen werden könne. „Das hängt ganz stark von der Umgebung und den Lichtverhältnissen ab. Kein Kollege macht bewusst einen finalen Rettungsschuss.“ Die Beamten werden gezielt auf solche Extremsituationen vorbereitet, berichtet Kindermann. „In speziellen Übungen wird zum Beispiel der Schusswaffengebrauch bei Geiselnahmen trainiert.“ Auch gebe es sogenannte „Schießkinos“, in der das Verhalten in Ausnahmelagen aufgezeigt werde. Schließlich seien die Beamten in akuter Lebensgefahr.
Beispielhaft nennt Kurt Kindermann einen alten Fall, der als die „Sonnenberg-Schießerei“ in die Polizeigeschichte eingegangen ist: „Damals hatten wir einen Bankräuber in Stuttgart-Hofen verfolgt. Hinter einer Kurve blieb er plötzlich stehen und schoss einem Kollegen mit einer Pumpgun mitten ins Gesicht. Die beteiligten Beamten waren völlig traumatisiert. In einem Kloster mussten sie unter psychologischer Betreuung ihre Erlebnisse verarbeiten.“
Der getroffene Beamte hatte sein halbes Gesicht verloren. Um die hochkomplexe Operation mitzufinanzieren, nutzte Kurt Kindermann sein künstlerisches Element. Er malte Porträts der Profis des VfB Stuttgart. Der Verkaufserlös ging als Spende an den schwer verletzten Kollegen. Solch dramatischen Fälle sei aber zum Glück die Ausnahme.