Bis zum 1. Oktober muss das neu gewählte Parlament in Thüringen zusammenkommen. Dabei wählt es einen neuen Landtagspräsidenten. Es handelt sich um ein machtvolles Amt. Die Abstimmung könnte riskant werden.
Wer macht’s mit wem? Das ist nach der Landtagswahl im Thüringen noch nicht klar. Wahrscheinlich wird es auf ein Bündnis aus CDU, BSW und SPD hinauslaufen, das sich von der Linken tolerieren lassen müsste. Einig ist man sich unter den Parteien allerdings über eines: Die in Thüringen als gesichert rechtsextremistisch eingestufte AfD darf nicht mitregieren. Als stärkste Fraktion könnte sie den Landtag aber bald vor eine Herausforderung stellen. Binnen dreißig Tagen nach der Wahl muss das Parlament zusammenkommen und einen Landtagspräsidenten bestimmen. Geht etwas schief, könnte ein AfD-Politiker das hohe Amt besetzen.
Amtsmissbrauch wird befürchtet
Der Landtagspräsident muss zwar neutral agieren. Doch es ist fraglich, ob die AfD sich daran halten würde. Die Rechtswissenschaftlerin Jelena von Achenbach von der Universität Erfurt ist besorgt: „Die AfD hat kein originäres Interesse an einem gut funktionierenden Parlament. Es ist in ihrem Sinne, wenn die Demokratie vorgeführt und beschädigt wird.“ Auch der Jenaer Verwaltungsrechtler Michael Brenner sagt: „Der Landtagspräsident kann viel kaputtmachen, wenn er sein Amt missbräuchlich einsetzt.“
Als stärkste Fraktion darf die AfD als erste einen Kandidaten für das Amt des Landtagspräsidenten vorschlagen. Um gewählt zu werden, braucht er die Mehrheit der Stimmen im Parlament. Die hat die AfD nicht, sodass ihr Bewerber wohl zunächst scheitern würde. Und dann? Michael Brenner erklärt, dass es dazu zwei verschiedene Auffassungen gebe: „Die erste glaubt, dass die stärkste Fraktion, also hier die AfD, dann erneut einen Kandidaten vorschlagen darf.“ Theoretisch könnte sich das so lange wiederholen, bis die Fraktion alle Mitglieder erfolglos zur Wahl gestellt hat. Der Professor hält die zweite Lesart für überzeugender: „Sie argumentiert, dass das Parlament funktionsfähig bleiben muss.“ Deshalb wäre es so, dass nach der AfD auch die anderen Fraktionen Kandidaten aufstellen könnten. „Das würde der Intention der Verfassung gerecht werden, möglichst schnell die Handlungsfähigkeit des Landtags herzustellen“, sagt Brenner.
Geleitet wird diese Wahl allerdings vom Alterspräsidenten, dem ältesten Abgeordnete im Parlament. Das ist nun auch ein AfD-Politiker. Entscheidet er sich, der ersten Auffassung zu folgen, droht Chaos. Vermutlich müsste eine der anderen Fraktionen den Landesverfassungsgerichtshof anrufen. Jelena von Achenbach verweist noch auf einen weiteren Absatz in der Geschäftsordnung. Demnach müssten die Kandidaten in die Stichwahl, wenn keiner eine Mehrheit erhalten hat. So wird der Landtag zumindest nicht gelähmt. Es trägt aber zum Risiko bei, dass ein AfD-Bewerber gewählt werden könnte.
Es geht auch um Würde des Landtags
Und wenn der Landtag tatsächlich einen AfD-Präsidenten bekäme? Von Achenbach sieht verschiedene Risiken. Eines läge darin, dass der Präsident die Verwaltung des Hauses leitet. Wenn Beamte in den Ruhestand gehen, könnte er bevorzugt AfD-nahe Leute einstellen, die ihre Funktion möglicherweise missbrauchen könnten, sagt von Achenbach. Dabei gehe es um wichtige Posten, zum Beispiel in der IT. „Wer dort arbeitet, könnte theoretisch vertrauliche Daten wie Mails der Landtagsabgeordneten einsehen.“ Brenner erinnert zudem daran, dass der Landtagspräsident durch seine Worte und Reden wirke und darin bestimmte Parolen einbauen könnte. „Das könnte die Würde des Landtags beschädigen“, so Brenner. Öffentlich würde „nachhaltig Schaden entstehen“.
„Nachhaltig Schaden entstehen“
Außerdem leitet der Landtagspräsident die Wahl des Ministerpräsidenten. Findet in den ersten zwei Wahlgängen kein Kandidat eine Mehrheit, gewinnt der Bewerber, der in der dritten Runde die meisten Stimmen erhält. Im Februar 2020 wurde dabei entgegen den Absprachen der FDP-Kandidat Thomas Kemmerich gewählt mit den Stimmen der AfD. „Ebenso schnell kann in einer chaotischen, politisch nicht vorab verlässlich geklärten Konstellation im dritten Wahlgang auch Björn Höcke gewählt werden“, befürchtet von Achenbach. Um dieses Szenario zu verhindern, müssten die anderen Parteien verlässlich zusammenhalten, sagt sie. „Da ist mein Vertrauen leider nur gering.“