An diesem Montag geben Konzernchef Lutz und Minister Wissing das Startsignal für den Bau-Marathon bis 2030. Das befürchtete Chaos zur Fußball-EM blieb aus – doch fast die Hälfte der ICE-Züge fährt deutlich verspätet.
An Prominenz fehlt es nicht. Direkt nach der Fußball-Europameisterschaft beginnt die Deutsche Bahn AG die bisher umfangreichste Modernisierung ihrer ICE-Strecken. An diesem Montag geben Konzernchef Richard Lutz und Bundesverkehrsminister Volker Wissing in Gernsheim das Startsignal für den Bau-Marathon, der mit der fünfmonatigen Vollsperrung und Ersatzverkehren zwischen Mannheim und Frankfurt beginnt. Mit dabei sind Landesverkehrsminister Winfried Hermann sowie alle Vorstandsmitglieder des größten Staatskonzerns.
Bis 2030 sollen bundesweit 40 wichtige Gleisverbindungen mit insgesamt 4000 km Länge ertüchtigt werden. Deutschland hat die Bahn über Jahrzehnte massiv vernachlässigt. Die aufgestauten Sanierungskosten werden auf mindestens 90 Milliarden Euro veranschlagt, weil der Staat und der seit 30 Jahren dafür verantwortliche DB-Konzern viel zu wenig getan haben, um das 33 400 km lange Schienennetz und die 5400 Stationen gut zu erhalten.
Sicherheitsteams zur Fußball-EM verdreifacht
Immerhin blieb das befürchtete ganz große Chaos zur Fußball-EM aus. „Rund 150 000 Mitarbeitende haben alles dafür getan, dass viele Millionen Fans und die Mannschaften sicher und zuverlässig zu den Spielen reisen konnten“, bilanziert DB-Chef Lutz. Mit zwölf Millionen Reisenden im Fernverkehr habe es „so viel Bahn wie noch nie“ bei einem Fußball-Turnier gegeben. 260 000 Fan-Tickets wurden nach Konzernangaben verkauft, die gesamte ICE-Flotte mit 410 Zügen war im Einsatz, jeden Tag fuhren allein 14 EM-Sonderzüge.
Auch die Sicherheitskonzepte seien aufgegangen, die mit der UEFA, den Bundes- und Landesbehörden sowie den Gewerkschaften erarbeitet wurden. Im Fernverkehr sei der Einsatz der Sicherheitsteams verdreifacht, teilweise sogar vervierfacht worden, betont der Konzern. Allein 5400 DB-Sicherheitskräfte waren demnach an den Bahnhöfen und in den Zügen unterwegs. Das habe sich ausgezahlt, es sei zu keinen nennenswerten Vorfällen gekommen.
Fast jeder zweite ICE mit Verspätung
Weniger schön: Auch viele Fußball-Fans aus ganz Europa mussten während des Turniers erfahren, wie unpünktlich der deutsche Zugverkehr oft genug ist.
Im Juni war nach internen Informationen kaum noch jeder zweite ICE halbwegs nach Fahrplan unterwegs, die schon sehr schlechte Pünktlichkeitsquote soll nochmals drastisch auf kaum mehr als 52 Prozent abgesackt sein. Dabei wertet der DB-Konzern ohnehin schon alle Fahrten mit weniger als sechs Minuten Verspätung als noch pünktlich und ausgefallene Züge gehen überhaupt nicht in die Statistik ein.
Der Konzern begründet die Verspätungsflut mit dem schlechten Wetter. Der Zugverkehr sei vor allem auf der Nord-Süd-Route einige Wochen lang durch Hochwasserschäden beeinträchtigt gewesen, mehrere Hundert ICE-Züge pro Tag seien umgeleitet worden. Man habe „das Maximum aus dem Bahnsystem herausgeholt, die Möglichkeiten wurden jedoch durch eine veraltete und überlastete Infrastruktur beschränkt“.
Generalsanierung soll Überalterung stoppen
Mit der Generalsanierung soll es besser werden. „Die betriebliche Lage kann nicht bleiben, wie sie ist. Damit Züge wieder pünktlicher werden, bauen wir so viel wie noch nie“, sagt Philipp Nagl, Vorstandschef der DB Infra-Go AG, die seit Jahresbeginn für das bundeseigene Schienennetz zuständig ist. Allein in die nun beginnende Modernisierung der meistbefahrenen ICE-Piste, der Riedbahn zwischen Frankfurt – Mannheim, sollen 1,4 Milliarden Euro fließen. Schon diese Sanierung werde sich bundesweit nach dem geplanten Abschluss im Dezember positiv auf die Pünktlichkeit auswirken, verspricht der Konzern.
Anders als bisher sollen bei den Generalsanierungen ganze Bahnabschnitte dauerhaft gesperrt und in wenigen Monaten alle nötigen Arbeiten kompakt so erledigt werden, dass danach möglichst für viele Jahre keine größeren Eingriffe mehr nötig sind und der Zugverkehr ungestört rollen kann. Während der Bauarbeiten werden Züge umgeleitet und Reisende müssen teils mit Ersatzverkehr in Bussen rechnen.
Allein in diesem Jahr will die DB Infra-Go rund 16,4 Milliarden Euro vom Konzern, Bund und Ländern in die teils längst überfällige Sanierung von Anlagen stecken. 2000 km Gleise, 150 Brücken und 1000 Bahnhöfe sollen erweitert, modernisiert und erneuert werden. Laut Infrastruktur-Chef Nagl werde es so 2024 „zum ersten Mal seit vielen Jahren gelingen, die Überalterung der Eisenbahninfrastruktur zu stoppen“.