Es läuft für Mesut Özil beim FC Arsenal. Foto:  

An diesem Sonntag ist es so weit: Mesut Özil startet mit dem FC Arsenal in die neue Saison. Wie geht England nach der Erdogan-Affäre mit dem deutschen Ex-Nationalspieler um?

London - Unai Emery hat viel ausprobiert und experimentiert in der Vorbereitung auf die neue Saison der Premier League, die für den FC Arsenal mit dem Heimspiel gegen Meister Manchester City an diesem Sonntag beginnt. Der Nachfolger von Langzeit-Trainer Arsène Wenger hat verschiedene Formationen getestet und viel rotiert. Es wäre daher übertrieben, zu viel hineinzuinterpretieren in die einzelnen Personalentscheidungen in den Testspielen. Doch einer Maßnahme lässt sich durchaus Symbolwert beimessen.

Für die Partie gegen Paris St-Germain in Singapur ernannte er Mesut Özil zum Kapitän anstelle des verletzten Amtsinhabers Laurent Koscielny. Es war Özils erster Einsatz nach seinem Rücktritt aus der deutschen Nationalelf im Zuge der Affäre um das Fotos mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Dass ihm Emery da das Amt des Spielführers zugestand, war ein klares Zeichen an den 29 Jahre alten Mittelfeldmann: In Deutschland magst du kritisiert, beleidigt und gering geschätzt werden – aber wir hier bei Arsenal zählen voll auf dich.

Özil machte denn auch eine starke Partie bei seiner Rückkehr in den aktiven Betrieb, er steuerte einen Treffer zum 5:1-Sieg gegen Paris bei und wirkte auch im weiteren Verlauf der Vorbereitung gelöst. Nach einem turbulenten Sommer fühlt er sich offenkundig wohl damit, wieder zurück zu sein beim FC Arsenal, und der Verein tut alles dafür, Özil eine Oase des Friedens zu bieten.

Während seine Berichte über den Rassismus, dem er nach eigenen Worten in Deutschland ausgesetzt war nach dem Foto mit Erdogan und dem Vorrunden-Aus bei der WM, von DFB-Präsident Reinhard Grindel zurückgewiesen wurden, twitterte Arsenal am Tag nach Özils Rücktritt aus der Nationalelf dies: „Unsere Vielfältigkeit ist ein großer Teil, warum wir so ein besonderer Verein sind.“

Auch Mitspieler Héctor Bellerín zeigte sich auf Twitter solidarisch. Er schrieb: „Es ist unwirklich, dass jemand, der auf und neben dem Platz so viel für sein Land getan hat, so respektlos behandelt wird. Gut gemacht, dass du gegen dieses Verhalten die Stimme erhebst.“ Trainer Emery gab an, dass sich Özil bei Arsenal „zu Hause“ fühlen solle „wie bei einer Familie“. Der Coach hat hohe Erwartungen an den Mann, der mit seiner Vertragsverlängerung Anfang des Jahres zu Arsenals Topverdiener aufgestiegen sein soll: „Ich bin sicher, dass er mit uns eine große Saison haben wird.“

Die Rolle von Ilkay Gündogan von Manchester City, der sich ebenfalls mit Erdogan fotografieren ließ, war in England indes kein großes Thema, er konnte sich in Ruhe auf die neue Saison vorbereiten. Dafür hat Özils Rücktritt aus der Nationalelf ein lautes Echo in England hervorgerufen. Und er hat Verständnis bekommen, nicht nur aus dem eigenen Verein, sondern auch vonseiten der seriösen Medien.

Der angesehene „Times“-Kolumnist Matthew Syed, dessen Vater selbst aus Pakistan eingewandert ist, berichtete von einem Treffen mit Özil im vergangenen Jahr und schloss seinen Text mit einer Würdigung: „Er hat immer seine Steuern in Deutschland gezahlt, genau wie seine Eltern und Großeltern. Er unterstützt soziale und erzieherische Projekte zur Integration. Er ist, im wahrsten Sinne, ein großer Deutscher.“ Der Guardian schrieb: „Özil erinnert uns daran, warum Minderheiten mehr als nur eine Identität haben.“

Englands Medien vergleichen den Umgang, den Özil mit sich beklagt, mit anderen Beispielen aus der Sportwelt. Der frühere 100-Meter-Weltrekordler Ben Johnson zum Beispiel habe nur so lange als Kanadier gegolten, bis er wegen Dopings gesperrt worden sei, schrieb der Guardian, danach sei er meistens als „in Jamaika geboren“ beschrieben worden. Und „Times“-Autor Syed zog Parallelen zwischen Özil und dem englischen Nationalstürmer Raheem Sterling, ebenfalls in Jamaika zur Welt gekommen, „der Attacken ausgesetzt war, die auf ethnischen Vorurteilen beruhen“. In der Tat verfassen die heimischen Boulevardmedien mit Vorliebe Skandalgeschichten über Sterling.

Wie in Deutschland aber muss sich Özil auch in England immer wieder Kritik an seinem Spielstil anhören. Teilnahmslos, uninspiriert, vor allem in großen Partien ohne Wirkung, das sind die gängigen Anschuldigungen. Und wie in Deutschland geht auch in England die Kritik manchmal ins Bösartige. Der ehemalige Arsenal-Verteidiger Martin Keown zum Beispiel sagte nach dem Halbfinal-Aus in der Europa League gegen Atlético Madrid in der vergangenen Saison, dass Özil „nicht würdig“ sei, das Arsenal-Trikot zu tragen.

Die „Times“ spricht wegen der wiederkehrenden Kritik von einem „Özil-Rätsel“. Sie zählt seine Errungenschaften auf – Weltmeister, zweimal in die Mannschaft des Jahres der Uefa gewählt, in seiner Karriere umgerechnet rund 70 Millionen Euro an Transfererlösen eingespielt – und fragt: „Warum gelingt es so einem Spieler trotzdem nicht, die Debatte abzuschütteln, ob er überhaupt gut ist?”

Vor dem Start der neuen Saison aber ist die Stimmung in England so, dass Özils Rücktritt aus der Nationalelf nur gut sein kann, für ihn selbst und für Arsenal. Er kann sich künftig voll auf die Arbeit bei seinem Verein und den Neuanfang mit Emery nach mehr als zwei Jahrzehnten unter Arsène Wenger konzentrieren. Und das vielleicht sogar in gehobener Rolle. Es ist gut möglich, dass Özil auch beim Liga-Auftakt gegen ManCity die Kapitänsbinde trägt.