Auf Horst Seehofer und Angela Merkel kommt eine Menge Arbeit zu. Auch Silke Brandt, Sprecherin der CSU-Landesgruppe, und Regierungssprecher Steffen Seibert Foto: Getty

Nach dem schwachen Abschneiden von CDU und CSU bei der Bundestagswahl gärt es in den beiden Parteien. Einige Abgeordnete halten interne Gespräche für wichtig – andere die Sondierungen mit FDP und Grünen.

Berlin - Es ist das erste Wiedersehen einer deutlich geschrumpften Unionsfraktion. Die Tatsache, dass CDU und CSU viele, viele Abgeordnete verloren haben, wird in dieser ersten Sitzung am Dienstagnachmittag erst einmal dadurch übertüncht, dass auch die alten Abgeordneten noch mit eingeladen gewesen sind. Der frühere Forschungsminister Heinz Riesenhuber beispielsweise macht die Abschiedsrunde. Das überdeckt die schlechte Stimmung.

Wie groß der Unmut in den eigenen Reihen ist, zeigt sich schon bei der Wahl des Fraktionschefs. Die CDU-Parteivorsitzende Angela Merkel hatte schon am Tag nach der gefühlten Wahlniederlage im Alleingang erneut Volker Kauder vorgeschlagen, der ihr schon seit 2005 in dieser Funktion dient – nicht eben ein Signal des Aufbruchs, doch der CDU-Bundesvorstand folgte. In der Fraktion jedoch gärt es. „In der CSU sind sehr viele unzufrieden mit der Personalie Kauder“, berichtet ein bayerischer Abgeordneter. Und der Ärger über das vermeintliche Weiter-so-Zeichen beschränkt sich nicht nur auf den Freistaat. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass sich Jens Spahn, CDU-Präside und häufig genannter Merkel-Kronprinz, für eine Befristung von Kauders Fraktionsvorsitz einsetze – bis die neue Regierung ins Amt kommt. Am Ende aber setzt sich Kauder doch durch, allerdings mit einem gehörigen Dämpfer und nur 77,3 Prozent der Stimmen.

Dobrindt: Union muss wieder mit sich ins Reine kommen

Dass es für den Mann aus Rottweil noch einmal gut gegangen ist, liegt auch daran, dass die beiden Parteichefs Merkel und Horst Seehofer zu Beginn lange reden und den Abgeordneten den Eindruck zu vermitteln versuchen, die richtigen Lehren aus dem prozentualen Absturz zu ziehen. „Wir haben verstanden“, sagt die Kanzlerin Teilnehmern zufolge – ein Satz, den sie den Wählern so noch nicht gesagt hat. Weshalb der bayerische Ministerpräsident sogleich anfügt, man müsse nun auch „nach außen kommunizieren“, dass sich etwas ändern werde.Über eine gemeinsame Linie für die Koalitionsverhandlungen haben Merkel und Seehofer bereits ein Gespräch geführt, beide räumen aber ein, dass noch mehrere notwendig sein werden – bis zum 15. Oktober, dem Tag der Niedersachsen-Wahl, will man sich dafür Zeit lassen. „Es muss und wird eine inhaltliche Diskussion zwischen CDU und CSU geben, bevor wir mit anderen Parteien sprechen“, sagt der neue CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Zuerst, so das oberste Ziel, muss die Union wieder mit sich ins Reine kommen. Aber schon das ist umstritten. „Die Welt wartet nicht auf Niedersachsen, die Handlungsfähigkeit des Landes geht vor“, sagt der Waiblinger Bundestagsabgeordnete Joachim Pfeiffer und fordert, „dass wir sofort Gespräche mit anderen Parteien aufnehmen und nicht nur auf Selbstbesinnung machen“. Einer aus der CDU-Parteispitze sieht das anders: „Jetzt geht erst einmal die unionsinterne Klärung vor.“ Die Union bleibt eine Baustelle.

Die CSU taumelt

Auch weil die CSU taumelt und nach Orientierung sucht. Mit leisen Tönen auf miese Wahlergebnisse zu reagieren – das ist ihre Sache nicht. Am Dienstag hat sich auch ihre Landesgruppe im Bundestag konstituiert. Dobrindt, der nicht immer glücklich agierende Bundesverkehrsminister in der abgelaufenen Wahlperiode, ist nun ihr Chef. „Klar, direkt und konservativ“ werde die CSU in Berlin zu vernehmen sein, kündigt er an. Aufgabe der CSU-Landesgruppe werde es künftig sein, „die politische Debatte für diejenigen mit zu bestreiten, die sich bislang darin nicht wiedergefunden haben“. Und konkreter: „Von der Mitte bis zur demokratischen Rechten“ müsse das gesamte Spektrum abgedeckt werden.

Soweit hätte man von den Christsozialen nichts anderes erwartet. Spannend für die gesamte Union ist aber, was die CSU inhaltlich daraus ableitet. „Die Themen Zuwanderung und Sicherheit“ will Seehofer in den Vordergrund stellen. Vor der Unionsfraktion wiederholt er seine Formulierung vom Schließen der „offenen rechten Flanke“. In der Pressekonferenz mit Dobrindt fügt er einen neuen und erstaunlichen Aspekt an. „Wir müssen uns mit dem gesamten sozialen Bereich befassen“, sagt er. „Von den Renten über die Pflege bis zu bezahlbaren Mieten und Wohnraum.“ Die Union müsse sich „verstärkt um ihre soziale Kompetenz kümmern“. Die Frage ist, was das heißt, wenn es in Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP zum Schwur kommt. Beharrt die CSU auf ihrem Mantra der Obergrenze? Nun ja. Seehofers Antwort klingt so, als lege er sogar noch nach. „Es geht nicht nur um die Obergrenze“, betont er. „Es geht um ein gesamtes Regelwerk für die Zuwanderung einschließlich der Fachkräfte.“ Womöglich steckt in der kryptischen Antwort auch ein Angebot. Ein Zuwanderungsgesetz, das Quoten für die Zuwanderung von Fachkräften festlegt, ist nun also mit der Union zu machen. FDP und Grüne wird das freuen. Ein Albtraum scheint eine mögliche künftige Zusammenarbeit mit den Grünen für die CSU jedenfalls nicht mehr zu sein. Allerdings will durchaus nicht jeder in der CSU diesen Weg noch mit Seehofer gehen. Der Bezirksverband Oberpfalz fordert eine Debatte über einen „geordneten personellen Übergang“. Der Beginn der bayerischen Götterdämmerung?

In der CDU finden manche Jamaika sehr reizvoll

Dass der CSU-Chef keine Blockadepolitik in Sachen Jamaika-Koalition betreibt, wird in der CDU positiv zur Kenntnis genommen. Dort gibt es durchaus Stimmen, die das neue Bündnis ausgesprochen reizvoll fänden. Übrigens auch bei den Innen- und Sicherheitspolitikern, die von den Grünen und den Liberalen wohl am meisten trennt. Armin Schuster (Lörrach) sähe im Dreierbündnis „ein Signal der Erneuerung“. Von Schuster kommt auch der Hinweis, wie es im Streit über die Obergrenze einen Kompromiss geben könnte. Er hatte schon im vergangenen Herbst ein gemeinsames Papier mit dem CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer vorgelegt. Die beiden hatten vorgeschlagen, dass sich die Politik regelmäßig mit den kommunalen Spitzenverbänden über Richtwerte verständigen sollte, die für eine gewisse Periode gelten. Damals lehnten Merkel und Seehofer ziemlich brüsk ab. Die Idee könnte nun wieder auf den Tisch kommen.

Sehen Sie im Video, was Passanten in Berlin zur Wahl sagen: