Kurz vorm Ziel: Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler, an seinem erfolgreichen Wahlabend Foto: Getty

Lange Zeit waren die Freien Wähler ein Stachel im Fleisch der CSU. Nun könnten sie mit dem charismatischen niederbayerischen Landwirt Hubert Aiwanger an der Spitze mitregieren. Doch wer sind die Freien Wähler – und was wollen sie erreichen?

München - Bayerns Freie Wähler, so sagt es der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter gerne, seien „Fleisch vom Fleische der CSU“. Den „gemeinsamen Geist“ wiederum lobt CSU-Spitzenmann Markus Söder, wenn er seit dem Wahlabend laut über eine Regierungskoalition nachdenkt. Doch wer sind die Freien Wähler (FW)? Seit den fünfziger Jahren entstanden sie aus einer lokalen, typisch bayerischen Art von Rebellionsgeist. Da dachten örtliche Wählergruppen wie die CSU, da hatten sie eine kernige Figur für den dörflichen Bürgermeisterposten zu bieten – und sie wollten ihn durchsetzen gegen denjenigen, den die Großkopferten von der CSU ihnen vor die Nase setzen wollten. Wie stark diese Bewegung geworden ist, lässt sich aus der Tatsache erahnen, dass – laut Website der Partei – mittlerweile jeder dritte Bürgermeister im Freistaat „ein Freier“ ist.

Die geradezu flächendeckende Verwurzelung an der ländlichen Bürgerbasis ist das Wesenselement der FW geblieben, auch in den zehn Jahren, in denen sie nun als Verband im bayerischen Landtag sitzen. „Wir sind eine Graswurzelpartei“, sagt FW-Chef Hubert Aiwanger, und in der Tat: Bei nicht wenigen politischen Themen sind es die Freien Wähler, die unten das Gras wachsen hören und Stimmungen schon im Entstehen mitkriegen, früher als die CSU. Bei der Rückkehr zum neunklassigen Gymnasium zum Beispiel, hatten sich die Freien Wähler schon an die Spitze der Bewegung gesetzt, als sich die CSU noch fest in ihrer „G8“-Ideologie verschanzt hatte. Seit diesem Schuljahr nun gibt es wieder G9 in Bayern; das hat die CSU mit ihrer absoluten Mehrheit im Landtag am Ende durchaus alleine beschlossen. Aber wer heftete es – „das haben wir geschafft!“ – im Wahlkampf auf seine Fahnen? Hubert Aiwanger und seine Freien Wähler.

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Noch einen zweiten Erfolg konnten die FW rechtzeitig zu den Wahlen feiern. Mit der Einleitung eines Volksbegehrens hatten sie die CSU dazu gezwungen, die bei den Hausbesitzern in den Gemeinden verhasste finanzielle Beteiligung am Straßenausbau abzuschaffen. Bis aufs Blut war die CSU da von den Freien Wählern genervt, bis sie merkte: die FW hatten die Nase vorn – und sie selbst eine riskante Landtagswahl zu bestehen.

Chef der Freien Wähler – manche sagen zu Unrecht auch: Alleindarsteller – ist der 47-jährige Landwirt und Agraringenieur Hubert Aiwanger. Er stammt aus der Gegend von Landshut und hat sich den bedächtigen, schweren niederbayerischen Zungenschlag bewahrt: Er spricht die Sprache, die auch seine Anhänger sprechen. Im bayerischen Landtag gehört Aiwanger, der nie ein Manuskript vor sich hat, zu den faszinierendsten Rednern – wenn er sich beim spontanen Bilden seiner Gedanken auch manchmal übers Ziel hinaustragen lässt. So kommt es auch, dass seine Ideen ab und zu derart wechseln, dass die CSU ihn (bisher) einen Opportunisten schimpft und keinen klaren Kurs bei ihm feststellen kann.

Wohin die CSU-Wähler strömen

So war es beispielsweise in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik. Aiwanger war zwischendurch schon versucht, die Schärfe der CSU noch zu überbieten und sich an die AfD anzulehnen. Danach aber, gedrängt von seinen bürgermeisterlichen und handwerkerlichen Praktikern an der Basis war er – diesmal auf Grünen-Kurs – einer der ersten, der verlangte, Flüchtlinge so schnell wie möglich in Arbeit zu bringen: „Die sollen wenigstens was G’scheits tun, wenn sie schon da sind!“

Der Zustrom bei der Landtagswahl hat Aiwanger Recht gegeben: 11,6 Prozent haben die Freien Wähler bekommen, 2,6 Prozent mehr als 2013. Und von der CSU sind 180.000 Wähler zu ihnen herübergewandert.

Jetzt also geht’s in Richtung Regierungsbeteiligung; Aiwanger hat vorsorglich schon mal drei Ministerposten angemeldet und noch am Wahlabend gesagt: „Das mit den Inhalten, das kriegen wir bei den Koalitionsverhandlungen schon hin.“ Markus Söder wiederum, der sich bisher lustig gemacht hatte über Aiwangers Drang in eine Ehe mit der CSU („Ich fühle mich von ihm richtig gestalkt“), verkneift sich nach der eigenen Niederlage jede Häme. Denn ohne Koalitionspartner geht’s nicht mehr. Und die so gut bürgerlichen Freien Wähler – sie sind für die CSU die bequemste, allzeit windschnittige Variante.

Warum auch die Grünen in Baden-Württemberg von der Bayernwahl profitiert, erklärt unser Ressortleiter Politik, Rainer Pörtner im Video.