Fernsehturm und Eiffelturm – eng umschlungen. Ein symbolträchtiges Motiv, mit dem jüngst für die Französischen Wochen geworben wurde. Angesichts der Terroranschläge von Paris erhält es zusätzliche Aussagekraft: Stuttgart, wo rund 2500 französische Staatsbürger leben, trauert mit Paris.
Stuttgart - Die Stuttgarter nehmen Anteil. Privat wie öffentlich. Die Fahnen hängen auf halbmast. In den Kirchen sind der Terror und der Schmerz darüber brennendes Thema. Hanna Josua, Pfarrer der Arabischen Evangelischen Gemeinde in Stuttgart, drückt am Sonntag in der Stiftskirche seine Anteilnahme aus. Zugleich warnt er davor, Muslime unter Generalverdacht zu stellen.
In der Thomas-Morus-Kirche in Heumaden versammeln sich wie jeden Sonntag Mitglieder der einzigen französischen Gemeinde der Diözese Rottenburg-Stuttgart zum Gottesdienst. „Wir haben traurige Nachrichten bekommen“, sagt Priester Donatien Beya. Er spricht über Psalm 15, in dem es um Hoffnung geht. Gebetet wird für die Opfer – und auch für die Täter. Der Priester rät den Mitgliedern der knapp 1000 Personen zählenden Gemeinde Sainte Thérèse de l’Enfant Jésus, die nächsten Tage so zu verbringen, als ob sie bei den Anschlägen in Paris selbst ein Familienmitglied verloren hätten. „Die Trauer ist nicht national, sondern international“, sagt Beya.
Anlaufstelle für Solidarität: das Institut français
Bereits am Samstag hatte Oberbürgermeister Fritz Kuhn dem französischen Generalkonsul Nicolas Eybalin kondoliert: „Die menschenverachtenden Taten haben auch uns getroffen. Stuttgart steht an der Seite seiner französischen Freunde. Die Nacht von Paris ruft uns auf, in Solidarität zusammenzustehen“, schrieb er. Die Verbindungen sind eng. Stuttgart pflegt mit Straßburg eine Städtepartnerschaft. Seit 53 Jahren.
Anlaufstelle für Solidarität und Trauer ist das Institut français in der Schlossstraße 51 am Berliner Platz. Das ganze Wochenende über kommen Menschen vorbei. Sie legen Blumen nieder und zünden Kerzen an. Am Fenster hängt ein Plakat: „Nous pleurons avec la France – wir weinen mit Frankreich“. An diesem Montag findet dort um 18 Uhr eine Gedenkveranstaltung statt. Ein Kondolenzbuch liegt ab 10 Uhr aus. Anteilnahme kann man auch per Mail ausdrücken: beileid@institutfrancais.de
Freiheit – ein Gedicht
Jüngst erst hatte das Institut français die Freiheit zum zentralen Thema gemacht. Viele Veranstaltungen der diesjährigen Französischen Wochen vom 15. bis 30. Oktober waren der Freiheit gewidmet. Ausgangspunkt war der Satz „J’écris ton nom – Liberté. Ich schreibe deinen Namen, Freiheit“, der sich an ein eindrucksvolles Gedicht von Paul Éluard (1895–1952) anlehnt. Enthalten ist es in „Poésie et vérité“ („Dichtung und Wahrheit“) von 1942. Wir veröffentlichen es aus aktuellem Anlass (leicht gekürzt):
Freiheit
Auf meine Schulhefte
Auf mein Pult und die Bäume
Auf den Sand auf den Schnee
Schreib ich deinen Namen
Auf alle gelesenen Seiten
Auf alle leeren Seiten
Stein Blut Papier oder Asche
Schreib ich deinen Namen
Auf die Heiligenbilder
Auf die Waffen der Krieger
Auf die Krone der Könige
Schreib ich deinen Namen
Auf den Dschungel und die Wüste
Auf die Nester auf die Ginsterbüsche
Auf das Echo meiner Kindheit
Schreib ich deinen Namen
Auf die Wunder der Nächte
Auf das Weißbrot der Tage
Auf die verlobten Gezeiten
Schreib ich deinen Namen
Auf all meine Fetzen Himmelblau
Auf den schimmligen Sonnenteich
Auf den frischen Mondsee
Schreib ich deinen Namen
Auf die Felder auf den Horizont
Auf die Schwingen der Vögel
Und auf die Mühle der Schatten
Schreib ich deinen Namen
Auf jeden Hauch Morgenrot
Auf das Meer auf die Schiffe
Auf das wahnsinnige Gebirge
Schreib ich deinen Namen
Auf das Moos der Wolken
Auf den Schweiß der Stürme
Auf den dichten faden Regen
Schreib ich deinen Namen
Auf die funkelnden Formen
Auf die Glocken der Farben
Auf die physische Wahrheit
Schreib ich deinen Namen
Auf die munteren Pfade
Auf die entfalteten Straßen
Auf die überquellenden Plätze
Schreib ich deinen Namen
Auf die Lampe, die angeht
Auf die Lampe, die ausgeht
Auf meine vereinten Häuser
Schreib ich deinen Namen (. . .)
Auf das Sprungbrett meiner Tür
Auf die häuslichen Dinge
Auf das Wallen gesegneter Glut
Schreib ich deinen Namen
Auf jeden sich schenkenden Leib
Auf die Stirn meiner Freunde
Auf jede gereichte Hand
Schreib ich deinen Namen
Auf das Fenster des Verwunderns
Auf die erwartenden Lippen
Hoch über das Schweigen
Schreib ich deinen Namen
Auf meine zerstörten Zufluchten
Auf meine zerfallenen Leuchttürme
Auf die Mauern meines Leids
Schreib ich deinen Namen
Auf die wunschlose Trance
Auf die nackte Einsamkeit
Auf die Treppenstufen des Todes
Schreib ich deinen Namen
Auf die zurückgekehrte Gesundheit
Auf die entschwundene Gefahr
Auf die Hoffnung ohne Erinnerung
Schreib ich deinen Namen
Und durch die Macht eines Wortes
Beginn ich mein Leben neu
Ich bin geboren dich zu kennen
Dich zu nennen
Freiheit.