Der Nächste, bitte! Patienten können in einem DRK-Gruppenzelt vor der mobilen Arztpraxis warten, ehe sie an der Reihe sind. Foto: Gottfried Stoppel

Seine Behandlungsräume sind im Hochwasser untergegangen, nun behandelt der Rudersberger Arzt Alexander Beck seine Patienten neben dem Rathaus in einer ungewöhnlichen Praxis.

Hausarzt Alexander Beck muss die nächsten Wochen ohne Haus auskommen. Genauer: ohne seine gewohnte Praxis in der Marktstraße in Rudersberg. Dort stand am Montag vergangener Woche das Wasser hoch, exakt 1,72 Meter. Alle Räume wurden überflutet, Mobiliar, medizinische Geräte, Arzneimittel, Computer und anderes Zubehör – alles nur noch Müll. Zehn Wochen werde es wohl dauern, bis man die Praxis wieder nutzen könne, bis alles renoviert sei, sicher ein halbes Jahr. Selbst die Sicherungsspeicher mit den Krankenakten – im Wandsafe vor Diebstahl und Feuer geschützt – blieben nicht verschont: „Als ich den Safe geöffnet habe, sind sie mir entgegengeschwommen“, erzählt Beck.

 

Dass der 65-jährige Mediziner seine Patienten nur zwei Tage nach dem Hochwasser wieder empfangen und behandeln konnte, verdankt er nicht nur einem IT-Experten, der die Patientendaten gerettet hat, sondern vor allem dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) und dem Rudersberger Bürgermeister Raimon Ahrens. Der hat gemeinsam mit DRK-Geschäftsführer Sven Knödler und Kreisbereitschaftsleiter Heiko Fischer eine Mobile Arztpraxis geordert, die in der Ortsmitte aufgestellt wurde und am vorvergangenen Mittwoch eröffnet hat. „Die Entscheidung war goldrichtig“, sagt Beck. „Ohne Hilfe des DRK und der Gemeinde wäre nichts gegangen.“

Moderne Technik auf 35 Quadratmetern

Das DRK besitzt von diesen Mobilen Medizinischen Versorgungseinheiten (MMVe) bundesweit nur vier Stück. „Diese hier war eigentlich für die Fußball-EM vorgesehen und sollte auf dem Schlossplatz aufgestellt werden“, erzählt Knödler. Weil sie aber momentan in Rudersberg dringender benötigt wird, gab der Landesverband grünes Licht und transportierte die Praxis auf Rädern neben das örtliche Rathaus.

Die Einheit bietet Jede Menge technisches Gerät und Zubehör. Foto: SDMG//Krytzner

Florian Hofmann vom Rudersberger Ortsverband, und zugleich Ausbilder in der Vorhaltung beim DRK, wies den Arzt und seine Helferinnen in die Besonderheiten der voll ausgestatteten Spezialpraxis ein. „Es ist wie bei einer fremden Küche – da muss man auch erst mal wissen, wo man welchen Topf und das Besteck findet“, erklärt Knödler.

Und zu finden gibt es so einiges, in den Arbeitszonen: Empfang- und Patientenregistrierung, Sprechzimmer, zwei Behandlungsräume und Personalaufenthalt und sogar ein Labor, etwa für Blutuntersuchungen. „Die Mobile Medizinische Versorgungseinheit baut auf einem Sattelauflieger mit Kastenkonstruktion auf“, so Hofmann. Dank leistungsstarker Klimaanlage und Infrarot-Deckenheizung wird eine konstante Innentemperatur von 23 Grad Celsius erreicht. Es gibt ein EKG und Ultraschall.

Der Behandlungsraum ist modern und umfassend ausgestattet, mit Dampfsterilisator, Laborgerätschaften, EDV-Arbeitsplatz sowie Patientenliegen, Medikamentenkühlschrank und -gefrierschrank sowie zahlreichen Lagermöglichkeiten für medizinisches Verbrauchsmaterial wie Spritzen und Verbandszeug. „Es gibt Frisch- und Abwassertanks, ein Aggregat zur Stromerzeugung, eine LTE-Antenne für Telefonempfang und Internet“, erklärt Hofmann. Das MMVe sei grundsätzlich völlig autark und speziell für den Einsatz in Krisengebieten oder bei Großeinsatzlagen ausgelegt.

Selbst für die Mitarbeiter gibt’s ein kleines Plätzchen. Foto: SDMG/Krytzner

Unmittelbar nach dem Hochwasser konnte Beck dadurch Betroffene und Helfer behandeln. Darunter viele Schnittverletzungen, Entzündungen, allergische Reaktionen oder Atemwegserkrankungen. „Viele waren das stundenlange Tragen der Gummistiefel nicht gewohnt und haben sich in ihren feuchten Strümpfen eitrige Blasen geholt.“ Zu den körperlichen Verletzungen kämen psychische. „Menschen haben ihr Hab und Gut verloren und wissen nicht mehr weiter“, sagt Beck. „Manche brauchen eine Pause und müssen für eine Zeit aus dem Arbeitsprozess genommen werden oder brauchen jemanden zum Reden.“ Nach dem ersten Schock spürten viele jetzt die seelische Last. „Da kann ich mitfühlen – ich bin mittendrin und habe das miterlebt.“ Begeistert habe ihn bei aller Schwere die Solidarität untereinander: „Da hat mitgeholfen, wer konnte Die Hilfsbereitschaft war im ganzen Ort groß.“

Tiny-House-Version einer Arztpraxis

Patienten und Arzt wissen die 13,6 Meter lange und 2,55 Meter breite Praxis zu schätzen. „Eine Patientin meinte, das Mobil sei wie die Tiny-House-Version einer Arztpraxis“, sagt der Mediziner. „Ich bin froh, dass ich sie für drei Wochen nutzen kann.“ Solange ist sie für Rudersberg reserviert – mit Option auf Verlängerung. „Wir versuchen, eine Interimslösung in anderen Räumen zu finden.“ Und irgendwann möchte er seine Patienten wieder in der Markstraße 9 empfangen. „Die Speicherkarte mit den Krankenakten“, sagt Beck. „Die lagere ich künftig nicht im Safe, sondern bei mit zuhause.“

Apropos Sicherheit: Was die Fußballfans angeht, müssen die sich keine Sorgen machen; ihre mobile Arztpraxis für die Europameisterschaft wurde vom Roten Kreuz aus Berlin angeliefert und steht bereits auf dem Schlossplatz.