In einer Diskussion in Winnenden fordern Politikerinnen und Naturschutzvertreter, aus der Hochwasser-Katastrophe im Rems-Murr-Kreis nachhaltig zu lernen und Konsequenzen zu ziehen.
Gut vier Monate ist das verheerende Starkregenereignis her, das in Teilen des Rems-Murr-Kreises, insbesondere im Wieslauftal, eine Spur der Verwüstung hinterlassen hatte. Noch wirken die Folgen der Naturgewalt, deren materieller Schaden auf gut 330 Millionen Euro geschätzt wird, physisch und gedanklich nach. Doch Experten wie Sarah Heim warnen davor, dass die Bilder mit der Zeit verblassen und deshalb keine nachhaltigen Konsequenzen gezogen werden könnten.
Die Grünen-Politikerin, die im kommenden Jahr im Wahlkreis Waiblingen für den Bundestag kandidieren möchte, hat sich in ihrer Masterarbeit im Studiengang „Katastrophenvorhersage und Krisenvorsorge“ mit der Flut im Ahrtal beschäftigt. Auch wenn die Anteilnahme und Hilfe beim Wiederaufbau riesig gewesen war, verfalle man selbst dort zum Teil wieder in alte Muster. Viele Menschen errichteten ihre zerstörten Häuser wieder am selben Ort, Landwirtschaft und Forst wollten nicht auf Flächen verzichten, die wichtige Retentionsflächen für künftige Hochwasserereignisse wären. Der angestoßene Planungsprozess für insgesamt 19 Regenrückhaltebecken gestalte sich schwierig. Auch andernorts und in anderen Bereichen sei immer wieder ein Phänomen zu beobachten, das im Fachjargon als „Katastrophen-Demenz“ bezeichnet wird.
Swantje Sperling: Extremwetter wird häufiger und heftiger
Swantje Sperling möchte dem entgegenwirken. Die Landtagsabgeordnete der Grünen hat mit Sarah Heim und anderen im Winnender Feuerwehrmuseum über Strategien diskutiert, die Klimaschutz und Hochwasserprävention verbinden und die Region gegen Katastrophen stärken sollen. Denn eins ist für die Politikerin klar: „Die Extremwetterereignisse werden immer häufiger und heftiger. Wir werden wohl alle zehn Jahre mit einem krassen Hochwasser rechnen müssen.“
Um sich vor den Auswirkungen zu wappnen, kann man Vorsorge treffen, sagt Gerhard Haimerl, Dekan für das Bauingenieurwesen an der Hochschule Biberach. Allerdings gehe mit baulichen Maßnahmen immer auch eine Risikoabwägung einher, denn berechnen ließen sich Extremwetterereignisse nicht. Man müsse sich vielmehr mit Statistik und den Wahrscheinlichkeiten behelfen, um die Risiken zu minimieren. Allerdings: „Es wird immer wieder Ereignisse geben, die darüber hinausgehen.“ Die Umsetzung von Hochwasserschutzmaßnahmen wie der Bau von Regenrückhaltebecken oder Dämmen scheitere indes nicht selten an Interessenskonflikten, persönlichen Betroffenheiten und dem fehlenden Glauben an der Notwendig- und Wirksamkeit. Haimerls Appell zu Letzterem: „Vertrauen Sie da den Fachleuten!“
Karten informieren über die Hochwassergefahren
Vanessa Kruse vom zuständigen Referat des Regierungspräsidiums Stuttgart sagt, dass das Land beim Hochwasserschutz unterstütze, die Ausgestaltung letztlich aber eine kommunale Aufgabe sei. Eine detaillierte Einschätzung der Risiken böten die Hochwassergefahrenkarten, die seit dem Jahr 2015 vorlägen und rund 12 000 Kilometer Wasserfläche umfassten. Ein Blick darauf könne auch jeder Einzelne werfen, um daraus Schlüsse für eine eventuelle Eigenvorsorge zu treffen.
Daniel Baier vom Naturschutzbund (Nabu) Rems-Murr würde lieber den ökologischen Aspekt von Gewässern in den Vordergrund stellen, statt den Fokus lediglich auf die Schadensbegrenzung zu richten. In seinem Wohnort Winnenden seien die zentralen Flüsse – Zipfel- und Buchenbach – fast komplett verbaut. Ähnliches sei auch den Anwohnern im Wieslauftal zum Verhängnis geworden. An der Rems bei Winterbach hingegen habe sich gezeigt, dass Renaturierung auch dem Hochwasserschutz diene. Die Flutung dort habe viel Druck aus dem überlasteten System herausgenommen – und flussabwärts letztlich wohl eine verheerende Katastrophe verhindert.
Fachliche Besetzung in den Zweckverbänden
Nicht nur wegen unterschiedlicher Betroffenheiten entlang eines Gewässers empfiehlt Sarah Heim, das Thema Hochwasserschutz überregional zu denken und anzugehen. Zudem hielte sie es für förderlich, die wichtigen Positionen in den kommunalen Zweckverbänden nach fachlichen statt örtlichen oder politischen Kriterien zu besetzen. In den Niederlanden etwa habe man damit gute Erfahrungen gemacht.
Andreas Hieber, Baumschulbetreiber aus Leutenbach, hat von klein auf, schon in seinem Elternhaus, nah an einem Gewässer gelebt. Seine persönliche Erfahrung: „Alles wird immer extremer.“ Sein Fazit: „Wir müssen unseren Wasserkreislauf in Ordnung bringen und es schaffen, dass das Wasser in den Boden geht.“ Dazu gehört für ihn eine noch viel häufigere Gewässerschau der Kommunen. Swantje Sperling hat seinen Ausführungen aufmerksam zugehört und daraus geschlossen: „Wir sollten Bürger wie Sie viel mehr anhören und beteiligen, um von Ihrem Erfahrungsschatz zu profitieren.“