David Cameron könnte beim EU-Gipfel scharfer Wind ins Gesicht wehen. Foto: AP

Wenn die EU-Staats- und Regierungschefs am Dienstag tagen, dürfte die Stimmung angespannt sein. Immerhin geht es um den Brexit. Er muss schnell über die Bühne gehen, sagt die EU. Cameron aber spielt auf Zeit.

Brüssel/London - Beim Gipfel-Dinner im klotzigen EU-Ministerratsgebäude dürfte die Stunde der Wahrheit läuten. Großbritanniens Premier David Cameron soll den übrigen EU-Staats- und Regierungschefs am Dienstag erklären, wie er sich das Scheidungsverfahren mit der Union vorstellt.

Bei der Debatte zum Abschluss des ersten Gipfeltages im fensterlosen Sitzungssaal könnte es auch mal laut werden, denn die Vorstellungen über den Brexit gehen in Brüssel und London weit auseinander.

Wie stellen sich die EU-Spitzen den Austritt Großbritanniens vor?

Sie fordern von Cameron, rasch zu handeln. Damit soll die Unsicherheit eingedämmt werden, auch für die Wirtschaft und die Finanzmärkte. Ziel sei eine „möglichst schnelle und einvernehmliche Scheidung“, meint beispielsweise der Chef der Liberalen im EU-Parlament, Belgiens Ex-Premier Guy Verhofstadt.

Und was will die aktuelle britische Regierung unternehmen?

Nichts. Cameron, der sich gegen einen Brexit ausgesprochen hatte, will noch drei Monate im Amt bleiben. Bis dahin will er das Verfahren nach Artikel 50 des EU-Vertrags nicht auslösen. Die Regeln geben für den Austritt einen Rahmen von zwei Jahren vor.

Und was stellt sich der Noch-Herr von Downing Street No. 10 vor?

Cameron sagte bei der Ankündigung seines Rücktritts: „Verhandlungen mit der Europäischen Union werden unter einem neuen Premierminister beginnen müssen, und ich denke, dass es richtig ist, wenn dieser neue Premierminister die Entscheidung trifft, wann Artikel 50 angewendet werden soll.“

Was fordert das Brexit-Lager für den Austrittsprozess?

Der soll möglichst langsam und schonend für Großbritannien verlaufen. Geht es nach dem Brexit-Lager, soll es vor den offiziellen Verhandlungen über einen EU-Austritt bereits informelle Gespräche über die zukünftigen Beziehungen geben. Wenn Großbritannien die EU dann etwa 2020 verlässt, soll bereits ein neuer Rahmen für alle wichtigen Politikfelder, vor allem für die Wirtschaftsbeziehungen, stehen. „Es gibt keine Eile“, sagt Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson, prominentester Brexit-Befürworter und aussichtsreicher Anwärter auf das Amt des Regierungschefs nach Bekanntwerden des Votums.

Was soll sich in den Augen des Brexit-Lagers unmittelbar ändern?

Verschiedene EU-Regeln in Großbritannien sollen nach dem Willen der Brexit-Befürworter schon sehr bald nicht mehr gelten. Beispielsweise solle ein Gesetz „unverzüglich die „schurkische“ Kontrolle des Europäischen Gerichtshofs über die nationale Sicherheit beenden“, heißt in einem Fahrplan, den das Brexit-Lager eine Woche vor der Abstimmung veröffentlichte. Es gibt auch Andeutungen, dass noch vor einem Austritt „echte Schritte unternommen werden sollen, die Einwanderung zu begrenzen“.

Cameron muss nun auch eine EU-Spitzenpersonalie lösen?

Der konservative britische EU-Kommissar Jonathan Hill wird Mitte Juli seinen Brüsseler Posten verlassen, denn er ist enttäuscht über das Brexit-Votum. Kommissionschef Jean-Claude Juncker erwartet von Cameron, mit ihm über mögliche Nachfolger zu sprechen. Ein Brüsseler Kommissar kann nicht einfach ausgetauscht werden. In die Prozedur sind auch die übrigen EU-Staaten und das Europaparlament eingebunden. Keine leichte Aufgabe für Cameron, zumal Anwärter in Europas Hauptstadt nun richtig in die Mangel genommen werden dürften.