Mit einem Lastwagen hat der Attentäter 12 Menschen getötet und 50 Menschen verletzt. Foto: dpa

Je stärker die Terrormiliz im Nahen Osten in Bedrängnis gerät, desto mehr nimmt sie Europa ins Visier. Auf einem Online-Portal verbreitet sie genaue Ratschläge für Terroranschläge mit Lastwagen.

Stuttgart - Der Bekennertext benutzt die üblichen Kampfbegriffe. Ein „Soldat des Kalifates“ habe den Angriff ausgeführt und sei damit der Aufforderung der IS-Führung gefolgt, Bürger von Staaten der Antiterror-Koalition anzugreifen, hieß es in dem Onlineschreiben zum Lkw-Anschlag in Berlin, das die Dschihadisten auf ihrem Webportal Amak veröffentlichten. Täter und Details werden nicht genannt, auch ein Bekennervideo wurde bisher nicht hochgeladen, so dass Zweifel bleiben, ob der IS wirklich hinter dem Anschlag steckt.

Dagegen steht fest, je stärker die Terrormiliz auf dem nahöstlichen Schlachtfeld in Bedrängnis gerät, desto mehr nimmt sie Europa ins Visier. Dabei stützt sich der Islamische Staat vor allem auf drei Tätergruppen: aus dem Kalifat eingeschleuste IS-Kämpfer, sozial frustrierte einheimische Muslime, die nie in Syrien waren, oder junge Flüchtlinge, die sich in ihrer labilen, entwurzelten Lage aufhetzen und rekrutieren lassen. Die IS-Kommandeure hätten die strategische Entscheidung gefällt, den europäischen Kontinent mit Tausenden Kämpfern zu erschüttern und zu destabilisieren, warnte kürzlich der Chef von Europol, Rob Wainwright. Hinzu komme eine „noch größere Zahl solcher, die nie in Syrien waren und dennoch fähig sind, sich zu radikalisieren und Attentate auszuführen“.

Auffallend viele IS-Täter von Paris und Brüssel hatten eine kriminelle Karriere hinter sich

Dieser Personenkreis ist für die Sicherheitsbehörden besonders schwer zu greifen, denn bei diesem neuen Typ Dschihadist verwischen die Grenzen zwischen islamistischem Extremismus, organisiertem Verbrechen oder Flüchtlingsexistenz. Auffallend viele der nach den Massakern in Paris und Brüssel identifizierten IS-Täter hatten eine kriminelle Karriere hinter sich. Ihre verbrecherischen Fähigkeiten erwarben sie als Straßendiebe, Drogenhändler oder Ganovenbosse, bevor sie für den Islamischen Staat auf Mordmission gingen. Extremismusforscher Peter Neumann vom King’s College in London nennt diese Amalgamierung von Kriminalität und Islamismus „einen operativen Aspekt des Islamischen Staates“. Anders als im herkömmlichen radikalfundamentalistischen Milieu werden IS-Konvertierte nicht „durch das Licht des Islam“ geläutert, sondern bleiben ihrer kriminellen Szene treu.

Auf dieses volatile muslimisch-kriminelle Milieu, in dem sich Täter binnen weniger Wochen radikalisieren, zielen die neuen „Gebrauchsanleitungen“ für Terrorangriffe, die der IS seinen Propagandaheften verbreitet. So enthält die Novemberausgabe der Onlinezeitschrift „Rumiyah“, die in Englisch, Deutsch, Französisch, Russisch, Türkisch, Uigurisch, Paschtu und Indonesisch erscheint, genaue Ratschläge für Terrorangriffe mit Lastwagen. „Fahrzeuge sind wie Messer, sie sind sehr leicht zu beschaffen“, heißt es in dem dreiseitigen Artikel. Anders als der Besitz eines Messers rufe der Besitz eines Autos kein Misstrauen hervor. Daher sei dies eine der besten Methoden, Ungläubige zu töten, „weil es die Möglichkeit ist zum Terror für jedermann, der Auto fahren kann“, heißt es in dem Text, der Checklisten für Vorbereitung des Wagens, Wahl und Lage des Anschlagsortes sowie Ablaufphasen der Tat enthält. Pkw oder Geländewagen seien zu leicht und ungeeignet, am besten sei ein beladener Lastwagen, wie ihn „Bruder Mohamed Lahouaiej-Bouhlel“ bei seiner 19-Tonner-Todesfahrt in Nizza benutzt habe, rät der Autor. Als Anschlagsziele listet er Versammlungen, stark frequentierte Bürgersteige, Wahlkampfaktionen und Märkte auf.