Das Thema sexueller Missbrauch wird von den Sportvereinen aufgearbeitet – doch die Geschwindigkeit bei der Prävention ist unterschiedlich. Foto: IMAGO/Cristine /Bärlocher

Die jüngst bekannt gewordenen Vorfälle beim TSV Wiernsheim verdeutlichen, dass sich viele Vereine im Kampf gegen Übergriffe an Kindern noch stärker engagieren müssen.

Es ist die Suche nach der Nadel des Missbrauchstäters im Heuhaufen der Sportvereine. Es ist das beklemmende Gefühl, dass es sie gibt, aber man nicht weiß, wann sie zusticht. „Der total nette, junge Trainer, der sich eher als Freund darstellt, der mit den Kindern auch viel außerhalb des Sports macht und sich so das Vertrauen erschleicht. Das macht es schwer, diesen Typ von Täter zu entlarven.“ Diese Conclusio stammt von Bettina Rulofs von der Deutschen Sporthochschule Köln, der Projektleiterin der Studie „Safe Sport“ von 2021.

Zwei Kinder von Ex-Jugendtrainer in Wiernsheim missbraucht

Kürzlich wurde wieder ein Fall bekannt. Einem ehemaligen Fußball-Jugendtrainer des TSV Wiernsheim im Enzkreis wird vorgeworfen, sich an zwei Kinder im Alter von neun und elf Jahren sexuell vergangen zu haben; der 21-Jährige sitzt in U-Haft. Der Übergriff, der Ermittlungen einleitete, fand 2019 statt, Ende 2020 war der Mann wegen anderer Differenzen beim TSV ausgeschieden. In den Polizeiakten sei der Mann bislang nicht auffällig geworden in diesem Zusammenhang.

In der Vergangenheit gab es mehrere Fälle in der Region, etwa beim TSV Höfingen oder rund um Fellbach, wo ein Jugendcoach, der als Vorzeigetrainer galt, mehrere Kinder missbraucht hatte, oder ein Mentaltrainer, der für prominente Vereine tätig war, darunter der VfB Stuttgart und die Stuttgarter Kickers, angeklagt und verurteilt worden.

Die Erkenntnisse der Kölner Sportsoziologin Rulofs legen nahe: Es gibt keinen absoluten Schutz gegen sexuelle Übergriffe, so kommt der Prävention immense Bedeutung zu. Die Studie listet auf, dass zwar 73 Prozent der befragten 102 Stadt- und Kreissportbünde Ansprechpersonen für das Thema haben und einzelne, vorbeugende Maßnahmen durchführen, aber in nur 16 Prozent der Vereine gibt es entsprechende Arbeitsgruppen.

Sportvereine sind bei Prävention unterschiedlich weit

Darin geht die SpVgg Renningen (SVR) energisch voran, sie hat sich wie der TSV Höfingen, die Spvgg Weil der Stadt, die SpVgg Aidlingen, der TSV Grafenau und der TSV Kuppingen dem Pilotprojekt des Sportkreises Böblingen angeschlossen für ein Schutzkonzept zur Prävention von Gewalt und Missbrauch. Die SVR beschäftigt in Birgit Ulrich (56) und Patrick Stein (24) zwei Präventionsbeauftragte, es wurden die Führungszeugnisse aller Trainer verlangt und kontrolliert, alle, die mit Jugendlichen arbeiten, müssen den Ehrenkodex unterschreiben. „Ganz wichtig ist“, sagt Clubchefin Silke Bächtle, „das Engagement sichtbar zu machen, um Eltern wie Kinder zu informieren, eine Sensibilität zu entwickeln und mögliche Täter abzuschrecken.“

In allen Vereinen müssen Fragen geklärt werden wie „Was ist Trainern erlaubt und was verboten?“ oder „Wann dürfen von Kindern Aufnahmen gemacht werden und zu welchem Zweck?“. Es herrscht Verunsicherung, dass man im guten Willen unwissentlich eine Grenze überschreitet. Zudem möchte kein Verein Übungsleiter verlieren, weil die sich unter Generalverdacht sehen oder unter strenger Kontrolle fühlen. Aufklärung tut not und zählt zur Prävention.

Polizeiliches Führungszeugnis ist umstritten

Das haben sie auch bei der SKV Rutesheim erkannt, wo das Tempo in der Vorbeugung verschärft wird. Das Thema polizeiliches Führungszeugnis, versichert Vorstandschef Volker Epple, sei auf dem Weg, „da dränge ich drauf, dass das Pflicht wird“. Auch gilt längst die Maßgabe, dass kein Trainer mit einem Kind allein sein darf, doch: „Überprüfen können wir das nicht“, sagt Epple, der die Prävention in ihrer Gesamtheit auf die Agenda der der nächsten Ausschusssitzung gesetzt hat.

Beim SV Leonberg/Eltingen hielt Matthias Reimann von der Württembergischen Sportjugend (WSJ) einen Vortrag, um alle Jugendtrainer zu sensibilisieren – von 250 Trainern arbeiten gut 200 mit Minderjährigen. Der Club hat in Thorsten Talmon einen Präventionsschutzbeauftragen, ein weibliches Pendant wird intensiv gesucht, das Führungszeugnis ist längst Pflicht. „Darin taucht aber nur was auf, wenn jemand schon einmal auffällig und verurteilt worden ist“, betont SV-Geschäftsführer Tobias Müller, heißt: Unerkannte Täter schlüpfen durchs Netz. Müller betont, dass auch der Arbeit mit Eltern Bedeutung zugemessen wird, weil „es auch unter Gleichaltrigen zu sexuellen Übergriffen kommen kann“.

Wie tröstet man Kinder im Sport korrekt?

Beim FC Gerlingen wird nicht nur Wert auf Trainerschulungen im fachlichen Fußballbereich gelegt, auch das Thema Missbrauch wird in der Ausbildung von Wolfgang Lamitschka, dem Leiter der Trainingsschule, stets angesprochen und vertieft, wobei Fragen aufkommen wie: „Darf man einen Sechsjährigen berühren, um ihm nach einer schmerzhaften Verletzung Trost zu spenden?“ Ob ein Führungszeugnis zur Pflicht wird, sieht Lamitschka kritisch, er befürchtet, ein Coach könnte dies als Misstrauen auslegen und den Dienst quittieren. „90 Prozent unserer Trainer kommen aus Gerlingen“, sagt der 59-Jährige, „man kennt sich – und wir schauen auch ganz genau hin.“

Bei den TSF Ditzingen ist der Kinderschutz seit 2019 in der Satzung verankert, seit 2022 wird das Thema energisch aufgearbeitet. Nun muss jedes Mitglied den Verhaltenskodex unterzeichnen, zwei Präventionsbeauftragte sollen bald die Arbeit aufnehmen, „Führungszeugnisse sollen nur vorgelegt werden, wenn Coaches in besonderem Maße mit Kindern arbeiten“, betont TSF-Vorstandsmitglied Ulrike Malcher, der wichtig ist, Unsicherheiten im Umgang zwischen Trainern und Kindern auszuräumen. Mehr als 250 Übungsleiter sind bei den TSF aktiv, und die Juristin kennt die Statistik: „Machen wir uns nichts vor: Bei dieser Zahl könnte ein potenzieller Täter dabei sein.“ Die gefährliche Nadel im großen Heuhaufen.