Den Familien-Geländewagen Atlas hat Volkswagen eigens für die amerikanischen Kunden konzipiert. Foto: VW

Die USA sind nach China der zweitwichtigste Automarkt der Welt. Volkswagen arbeitet nach dem Diesel-Debakel hart an seinem Neustart. Derweil fällt an diesem Freitag in Detroit das erste Urteil gegen einen VW-Ingenieur, der eine Schlüsselrolle bei den Abgas-Manipulationen gespielt haben soll.

Washington - Der Wolfsburger Autobauer Volkswagen kommt in den USA bei der Aufarbeitung des Dieselskandals voran und fokussiert sich auf seine neue Nordamerika-Strategie. „Es zahlt sich aus, dass der Konzern den einzelnen Regionen nun eine stärkere Stimme gibt“, sagt Hinrich Woebcken, der USA-Chef des Autobauers in Herndon, wo Volkswagen seine US-Zentrale betreibt. Der Job zählt zu den härtesten im ganzen Konzern. Woebcken muss es gelingen, auf einem wichtigen Markt, auf dem VW ohnehin nur einen geringen Marktanteil hat, die schwere Vertrauenskrise zu überwinden, die der Dieselskandal ausgelöst hat. Gleichzeitig steckt der Konzern inmitten seines gigantischen Rückkauf- und Umrüstprogramms. Aber Woebcken bezeichnet sich als einen optimistischen Menschen. Er hat den Posten vor etwas mehr als einem Jahr übernommen. Sein Vorgänger Michael Horn hatte den Job im März 2016 – sechs Monate nach Auffliegen der Affäre – aufgegeben.

Während die Volkswagen-Teams in Märkten wie China sowie Nord- und Südamerika früher stark von der Zentrale in Deutschland abhängig waren, sieht die neue Regionalisierungsstrategie des Konzerns vor, dass sie künftig viele Entscheidungen eigenständig treffen. Dadurch seien die Regionen näher an den Kunden. „Das bedeutet mehr Eigenständigkeit, aber auch mehr Verantwortung“, sagt Woebcken.

Die USA sind nach China der wichtigste Automarkt der Welt

Näher am Kunden zu sein, bedeutet in den USA die Umsetzung der Erkenntnis, dass es vor allem auf die Größe ankommt. Die Liste der meistverkauften Fahrzeuge wird dort traditionell von schweren Pick-up-Trucks angeführt. Vergangenes Jahr wurden in den USA mit insgesamt rund 17,5 Millionen Autos so viele Fahrzeuge verkauft wie noch nie. Damit ist das Land nach China der zweitgrößte Automarkt der Welt. Auch das ist ein Grund dafür, warum sich VW nach dem Diesel-Debakel nicht einfach von den USA verabschiedet hat, was zeitweise offenbar im Raum stand. Stattdessen hat der Konzern lediglich den Diesel vom Markt genommen. Angeführt wird die Verkaufsliste vom Ford F-150 mit insgesamt 820 799 verkauften Einheiten, gefolgt vom Chevrolet Silverado (574 876 Neuzulassungen) und dem Dodge Ram (489 418 Neuzulassungen).

Die zehn wichtigsten Fakten zum Diesel-Skandal sehen Sie im Video:

Für 2017 erhofft sich Volkswagen einen kräftigen Absatzschub von seinem eigens für den amerikanischen Markt konzipierten und nur dort erhältlichen Familien-SUV: den Atlas. Bei den Händlern steht der Siebensitzer seit Mai, produziert wird er im VW-Werk in Chattanooga, im Bundesstaat Tennessee. Rund 850 Millionen Euro hat VW in das Werk für den Geländewagen investiert.

Während die Wolfsburger Konzernspitze ihren Modellen mit dem Amarok oder dem Tuareg bisweilen Namen gegeben hat, die für Amerikaner kaum auszusprechen oder nichtssagend waren, haben Woebcken und seine Mitarbeiter bei solchen Fragen heute selbst das Sagen. „Die Wolfsburger Kollegen haben uns bei der Wahl des Namens völlig freie Hand gelassen“, sagt Woebcken. „So konnten wir entscheiden und dabei amerikanische Besonderheiten stärker berücksichtigen als es bisher üblich war.“

VW hat inzwischen mehr als 300 000 Diesel zurückgenommen

Die erste Bilanz der Händler ist positiv. „Das Fahrzeug entspricht den Anforderungen der Kunden hier“, sagt Bob Hayes, VW-Händler in Alexandria, rund zehn Kilometer von Amerikas Hauptstadt Washington D.C. entfernt. Die Verkaufszahlen seien in den ersten Monaten mehr als zufriedenstellend gewesen. Der Atlas konkurriert in den USA mit dem Ford Explorer und dem Honda Pilot. Um im Markt eine Chance zu haben, ist der Geländewagen relativ günstig. Den US-Kunden seien VW-Fahrzeuge oft zu teuer, sagt Woebcken. „Das haben wir erkannt.“ Die Preisspanne des Atlas reicht daher von rund 26 000 bis zu 40 680 Euro. „Damit ist der Preis vergleichbar mit den Autos anderer Hersteller in diesem Segment.“ Auch der Tiguan, der eigens für den US-Markt mit einem längeren Radstand gebaut wird, soll der neuen US-Strategie Rechnung tragen. Um Vertrauen zurückzukaufen, hat der Konzern ein neues Garantieprogramm aufgelegt. Für den Tiguan und den Atlas bietet VW den Kunden künftig für eine Fahrleistung von umgerechnet 115 000 Kilometern eine Garantie, maximal für eine Dauer von sechs Jahren – und damit mehr als die Wettbewerber. Bis 2020 will die Marke Volkswagen jedes Jahr zwei neue Modelle auf den Markt bringen. Bis dahin soll die Region laut Plan auch den Sprung aus den roten Zahlen schaffen. Im ersten Halbjahr 2017 ist der Markt insgesamt geschrumpft. VW verbucht für den Zeitraum Januar bis Ende Juli immerhin eine Absatzsteigerung von 5,9 Prozent.

Neben der Neuausrichtung läuft das Rückkauf- und Umrüstprogramm auf vollen Touren. Der Konzern beschäftigt derzeit 1300 befristete Mitarbeiter, um den Vergleich mit den US-Kunden umzusetzen. Bis zum Stichtag 18. Juli hat Volkswagen 327 500 der rund einer halben Millionen betroffenen Zwei-Liter-Diesel zurückgekauft oder umgerüstet. „Wir arbeiten im Falle des 3.0 L TDI weiterhin eng mit den Umweltbehörden EPA und CARB zusammen, um so schnell wie möglich auch hierfür technische Lösungen zu entwickeln“, sagt ein Sprecher. Seit Frühjahr versucht VW, die zurückgekauften und umgerüsteten Zwei-Liter-Diesel wieder zu verkaufen.

An diesem Freitag wird in Detroit das erste Urteil gegen einen VW-Mitarbeiter gesprochen

Während sich der Autokonzern Stück für Stück aus der Krise in den USA arbeitet, ist diese für einige Ex-Mitarbeiter des Konzerns noch lange nicht ausgestanden. An diesem Freitag wird in Detroit das erste Urteil gegen einen VW-Mitarbeiter gesprochen: Der Ingenieur James Liang hat sich im September des Betrugs im Abgasskandal schuldig bekannt. Er hat seine Kooperation zugesagt, um sein Strafmaß zu mildern. Dennoch hat sich die Staatsanwaltschaft für eine Freiheitsstrafe von drei Jahren ausgesprochen. Zuvor war von fünf Jahren Haft die Rede gewesen. Laut der Anklageschrift spielte Liang, der eine deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, eine Schlüsselrolle im Diesel-Betrug. Demnach entwickelte der Ingenieur 2006 zusammen mit Kollegen die Manipulations-Software für den VW Jetta.

Anfang dieses Monats bekannte sich auch Oliver Schmidt, ein ehemaliger VW-Manager, vor dem Bundesgericht in Detroit im Zusammenhang mit dem Skandal schuldig. Ihm drohen bis zu sieben Jahren Haft und eine Geldstrafe von bis zu 400 000 Dollar. Das Urteil im Prozess gegen Schmidt soll am 6. Dezember fallen.