Ed Lyon als Colin und Roland Bracht als Doktor Mangemanche (re.) in „Der Schaum der Tage“ Foto: A. T. Schaefer

Er war 44 Jahre Ensemblemitglied, jetzt nimmt der Bass Roland Bracht Abschied von der Oper Stuttgart.

Stuttgart - Nein, lässt Roland Bracht ausrichten, Interviews habe er in den 44 Jahren seiner Profi-Karriere noch nie gegeben, und das werde er kurz auch vor deren offiziellem Ende nicht mehr ändern. Punkt. Man kann es schrullig finden, ja ärgerlich, dass sich da einer derart den Gepflogenheiten des Betriebs verweigert (und uns dadurch eben auch keine Gelegenheit gibt, heimlichböse nach Inkongruenzen zwischen dem Künstler und dem Privatmann zu suchen). Man kann die Absage des Sängers aber auch als Ausdruck einer Haltung verstehen: Da will einer allein durch die Kunst wirken, und der Rest, bitte schön, tut nichts zur Sache.

1973 ist Roland Bracht vom Opernstudio seiner Heimatstadt München nach Stuttgart gekommen. Zwölf Jahre später hat man ihn hier zum Kammersänger ernannt. Wenn an diesem Freitag Edison Denisows „Der Schaum der Tage“, eine von Jossi Wieler und Sergio Morabito grandios aufgearbeitete Rarität des Surrealismus, an der Oper Stuttgart wiederaufgenommen wird, dann wird dies die letzte Produktion sein, an welcher der Bass als Ensemblemitglied beteiligt ist. Wenn Bracht in der nächsten Saison in Stuttgart auftritt, wird er dies als Gast tun: Dann wird er nochmals den Rocco in „Fidelio“ singen, den Gualtiero in „I Puritani“, und er wird als Bartolo in Mozarts „Figaro“ wieder mit dem Fensterputzmittel in der Hand jene Szene zieren, die zu den absurdesten und lustigsten von Nigel Lowerys Inszenierung gehört: Da ist einer aus dem Fenster gesprungen, da hat sich einer verkleidet, da ist einer eifersüchtig, da hat einer etwas gesehen, und sie alle, die Verwirrten, sind umwickelt mit dem Schlauch des Gärtners.

Wunderbarer Sänger, exzellenter Darsteller

44 Jahre lang hat Roland Bracht die Oper Stuttgart als ein Sänger bereichert, der vor allem mit einer wunderschönen Mittellage glänzte; immer hat der Bass dabei in weiten Gestaltungsbögen gedacht und gesungen. In gleicher Weise hat Bracht das Haus aber auch als Darsteller intensiv bereichert. Wie er als Colline in „La Bohème“ mit großem Ernst seinen verschlissenen Mantel besang, wie er als Osmin in Hans Neuenfels’ legendärer „Entführung aus dem Serail“ mit seinem Schauspieler-Doppelgänger spielte; wie er es in Martin Kusejs „King Arthur“-Spektakel mit gleich fünf Rollen aufnahm, wie er den Fasolt im „Rheingold“ hilflos an der Liebe leiden ließ, wie er den Hagen in Peter Konwitschnys „Götterdämmerung“ mit düsterem Selbsthass ausstattete, wie er Philipp II. in „Don Carlo“ als gebrochenen Menschen zeichnete: Das war stets gutes, großes Theater, und Brachts Bühnenfiguren waren nie Pappkameraden, sondern immer tief durchdrungene Charakterstudien. Als Monterone hat er im „Rigoletto“ zuletzt aus der Königsloge heraus den buckligen Narr so verflucht, dass es einem durch Mark und Bein fuhr.

Den Rocco hat der Sänger in Stuttgart übrigens schon in Martin Kusejs Inszenierung von 1998 gegeben – neben Jonas Kaufmann, der damals den Florestan sang. Deutschlands amtierendem Lieblingstenor ist Bracht, der als Gast international stets viel gefragt gewesen ist, zuletzt bei Puccinis „Manon Lescaut“ an der Bayerischen Staatsoper wiederbegegnet, wo er den Geronte sang und Kaufmann den Des Grieux.

Dazu und zu so vielem anderem hätte man Roland Bracht gerne befragt. Aber vielleicht – so die leise Hoffnung – antwortet er uns ja noch, wenn er aufhört zu singen. Falls er das jemals tut. Man kann sich’s nicht recht vorstellen. Wie könnte einer wirklich gehen, der immer schon da gewesen ist?