Die Akten des NSU-Ausschusses werden bald zugeklappt und der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler zieht einen Schlussstrich. Foto: dpa

Der Landtag in Stuttgart ist dem Esslinger SPD-Abgeordneten Wolfgang Drexler fast eine zweite Heimat geworden. Nach 30 Jahren kehrt er ihm den Rücken. Doch er „leidet wie ein Hund“.

Stuttgart - Der Untersuchungsausschuss zu den Aktivitäten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Baden-Württemberg hat am Donnerstag in seiner letzten Sitzung seinen 1300 Seiten umfassenden Bericht beschlossen, und der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler nimmt das zum Anlass, ebenfalls einen Schlussstrich zu ziehen. Überraschend hat der Esslinger Abgeordnete, der über seinen Wahlkreis hinaus Bekanntheit erreichte, am Donnerstag seinen Rückzug aus der Landespolitik angekündigt.

Den Zeitpunkt findet das SPD-Urgestein günstig. „Ich bin 30 Jahre im Landtag, der NSU-Ausschuss hat seine Arbeit abgeschlossen, das ist eine Zäsur“, sagt der Abgeordnete, der schon den ersten NSU-Ausschuss führte. Er wird sein Mandat zum 31. Dezember an seinen Zweitkandidaten Nicolas Fink, den Bürgermeister von Aichwald, abgeben.

Einer, der die Ärmel hochkrempelt

Seit 1988 ist der inzwischen 72 Jahre alte Volkstribun aus Esslingen ununterbrochen im Landtag und hat dabei Höhen und Tiefen seiner Partei gesehen. Doch, das betont er schon, die aktuelle desolate Lage seiner Partei sei kein Entscheidungskriterium gewesen. „Ich bin ja eigentlich ein Kämpfer und immer dafür, die Ärmel hochzukrempeln.“ Jetzt aber brauche er mehr Zeit für seine Frau und seine Familie. Nach einem Hörsturz und einer Lungenembolie hält es der Oberamtsanwalt auch „für geboten, mehr als bisher auf meine Gesundheit Rücksicht zu nehmen“. Da galt es abzuwägen zwischen dem Landtagsmandat und den Ehrenämtern.

Immer wieder Stimmenkönig

Drexler ist Präsident des Schwäbischen Turnerbundes, Vizepräsident des Württembergischen Landessportbundes, er führt unter anderem den Förderverein Esslingen Nord, der beispielsweise die Alte Kelter erhalten hat. Seit 1971 ist Drexler Kreisrat, seit 1975 Stadtrat in Esslingen. Das will er auch bleiben. Er sucht die Nähe zu den Menschen, er gewinnt sie durch Witz, Schlagfertigkeit und klare Ansagen. Das hat sich für ihn stets ausgezahlt. Auch wenn seine SPD auf ganzer Linie einbrach, Drexler wurde in Esslingen Stimmenkönig.

Auseinandersetzung gesucht

„Wir müssen ran an die Leute“, das versuchte Drexler seinen Sozialdemokraten regelrecht einzubläuen. Mit wechselndem Erfolg. Als er Generalsekretär der Südwest-SPD war, erzielte die Partei bei der Landtagswahl 2001 mit der Spitzenkandidatin Ute Vogt heute unvorstellbare 34 Prozent, Drexler wurde zum Dank Chef der 45 Mitglieder starken SPD-Fraktion. Die Zeit als Oppositionsführer im Landtag „hat Spaß gemacht“. Er suchte die Auseinandersetzung, aber die Wertschätzung blieb. Auf Einladung des CDU-Kollegen Günther Oettinger hat der Sozialdemokrat und überzeugte Föderalist bei einer Anhörung im Bundestag für Baden-Württemberg die Bildungshoheit der Länder verteidigt, daran erinnert er sich bis heute gern.

Scherze vom Präsidentenstuhl

Fünf Jahre später musste er den Fraktionsvorsitz an die aus Berlin zurückkehrende Ute Vogt abgeben, gegen die er schon Jahre zuvor im Rennen um den Landesvorsitz das Nachsehen hatte. Das hat das Verhältnis nicht einfacher gemacht. Drexler wurde mit dem Posten des stellvertretenden Landtagspräsidenten abgefunden. Als solcher habe er sich zehn Jahre lang „sehr wohl gefühlt“. Wenn er präsidierte, konnte er mit einem Scherz kritische Situationen entschärfen. Besonders wichtig sei ihm in dem Amt der Kontakt zu den jüdischen Gemeinden gewesen, sagt er im Rückblick.

Für Aufruhr sorgte der energische Befürworter von Stuttgart 21, als er sich 2009 zum Sprecher des Projekts küren ließ. Jedoch gab der Kommunikator das Ehrenamt auf, als seine Partei ein Jahr später für einen Baustopp bis zum Volksentscheid plädierte. Da beugte er sich der Parteilinie.

Landtag als zweite Heimat

Drexler hat sich am politischen Diskurs ergötzt. Heute, konstatiert er, geht die Debattenkultur zurück. Dennoch: „Der Landtag ist mir fast eine zweite Heimat geworden.“ Der Abschied fällt ihm schwer: „Vom Kopf her ist es die richtige Entscheidung, aber emotional ist es unglaublich schwierig. Ich leide wie ein Hund.“ Ein Trost sei ihm Nicolas Fink, der für ihn nachrückt. Fink, der für das Mandat sein Bürgermeisteramt in Aichwald aufgeben muss, gehe wie er mit Optimismus an die Aufgabe heran und sei den Menschen zugewandt, lobt der scheidende Abgeordnete seinen 42 Jahre alten Nachfolger: „Die Art und Weise, wie er Bürgerinnen und Bürgern begegnet, wird im Wahlkreis sehr geschätzt werden.“