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Frederick Loewes und Alan Jay Lerners Musical "My Fair Lady" von 1954 ist seit Donnerstag in einer Inszenierung von Ulf Dietrich im Alten Schauspielhaus zu sehen.

Stuttgart - Zeitlebens gab George Bernard Shaw sein Stück "Pygmalion" für eine Vertonung nicht frei. Erst seine Erben erlaubten es Frederick Loewe und Alan Jay Lerner, 1954 daraus ein Musical zu machen. "My Fair Lady" ist seit Donnerstag in einer Inszenierung von Ulf Dietrich im Alten Schauspielhaus zu sehen.

Es ist die beste Szene des Abends: Auf einer imaginären Tribüne klebt eine Menschentraube. Wie auf Knopfdruck verfolgen die Damen und Herren in grauem Cut und eng geschnürter weißer Seideneleganz mit ihren Ferngläsern im gleichen Takt ein nur hörbares Pferderennen. Eingezwängt zwischen diesen feinen Pinkeln plappert das Blumenmädchen Eliza als zur Dame abgerichtete Sprechmaschine ordinär übers Wetter - High Snobiety meets Unterschicht und mokiert sich genüsslich über diese Begegnung mit dem Exotischen.

Sarkastische Bilder wie diese Mensch gewordene Skulptur der Arroganz zeigt die Aufführung von "My Fair Lady" im Alten Schauspielhaus leider nur selten. Stattdessen erleben die Zuschauer die Geschichte vom Phonetikprofessor Henry Higgins, der die "Rinnsteinpflanze" Eliza Doolittle zur Lady abrichten will, als gleichermaßen opulente wie biedere Musicalaufführung.

Die Vorlage von Frederick Loewe und Alan Jay Lerner nach George Bernard Shaws "Pygmalion" bietet textlich wie musikalisch manchen Ansatz für bissigen inszenatorischen Zugriff. Doch seine ansatzweise kritischen Töne, beispielsweise über die Gier des Professors, das Blumenmädchen Eliza als Objekt für seine Sprachexperimente zu missbrauchen, verwässert Regisseur Ulf Dietrich mit seinem nostalgisch verklärten Blick auf den elitären Status der Betuchten und Gebildeten im London des Jahres 1912.

Dabei hätte die immer tiefer werdende Kluft zwischen Arm und Reich in unseren Tagen Anlass sein können, das Geschehen ins Heute zu holen, ohne dass das Musical beschädigt worden wäre. Doch im Alten Schauspielhaus lässt die Inszenierung mit ihrem unkommentierten Rückwärtsblick das Stück verstaubt wirken. Die Aufführung sucht mit Gefühligkeit zu gefallen.

Auch darstellerisch und gesanglich überzeugt sie nur bedingt. Die Ausstatterin Barbara Krott folgte einmal mehr ihrer Neigung zu üppigen Bühnenbildern: Auf der Rückseite einer Häuserfassade des Gutbürgerlichen droht die detailgetreue Wucht eines riesigen Herrenzimmers - die Residenz von Professor Higgins.

Die Dominanz der Bühnenkonzeption vermag indes die Schwächen der Aufführung nicht zu verdecken: Regisseur Ulf Dietrich verzichtet weitgehend auf zündende Regieeinfälle, als fürchte er, das Publikum damit zu verschrecken.

Die Inszenierung meidet die Ironie des Stücks. Lieber setzt Dietrich auf verquälten Humor, wenn er die Vertreter der so genannten besseren Gesellschaft als zickige Trottel erscheinen lässt. Und wenn Elizas Vater Alfred P. Doolittle (Andreas Klaue: ein rüpeliger Proll) seine Armut mit aufgemalten Säuferbäckchen zackig als lustigen Tanzmarsch zum Mitklatschen vorstellen darf.

Die Musiker an Klarinette, Geige, Akkordeon, Schlagzeug und Tuba spielen solide von Niclas Ramdohr ohne musikalische Widerhaken arrangierte Welthits wie "Ich hätt' getanzt heut' Nacht". Als Schauspieler und Sänger sind die fünf ebenso überfordert wie einige andere Mitglieder des zwölfköpfigen Ensembles. Es wird viel chargiert wie bei Urs-Werner Jaeggis Oberst Pickering. Oder angestrengt gesungen, dass beim Zuhören die Ohren schmerzen. Beispielsweise von Elizas Verehrer Freddy Eynsford-Hill (Luigi Scarano).

Doch es gibt an diesem Abend auch Lichtblicke des präzisen Spiels und intonationssicheren Gesangs: In der Rolle des Blumenmädchens Eliza gelingt Melanie Starkl die Mutation von der berlinernden Kodderschnauze zur selbstbewussten Frau. Und Ulrich Wiggers Professor Higgins schafft den Spagat zwischen zynischem Kotzbrocken und angejahrtem Muttersöhnchen.