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Keine Teenieband! Eine Begegnung mit My Chemical Romance auf dem Stuttgarter Killesberg.

Stuttgart - David Bowie oder die Ramones? "Hm, das ist schwer", sagt Gerard Way und zögert, "ich glaube aber doch, dass David Bowie wichtiger für die Musik von My Chemical Romance war." Sein Bruder Mikey nickt. Schwarz-Weiß oder Farbe? "Ganz klar Farbe", sagt Gerard Way, "auch wenn ich vor fünf Jahren noch Schwarz-Weiß geantwortet hätte." Emo oder Disco? "Oh, Gott, alles, bloß nicht Emo", sagt Mikey Way und schüttelt aufgeregt den Kopf. "Dann schon lieber Disco", sagt Gerard, "Donna Summer ist ja gar nicht so übel."

Die Way-Brüder sitzen am späten Samstagnachmittag auf einer Couch in einer Backstage-Rumpelkammer hinter der Freilichtbühne auf dem Killesberg. Dort werden sie in zweieinhalb Stunden mit ihrer Band My Chemical Romance auftreten. Das Interview haben sie kurzfristig vom Raum Versailles im Hotel Le Méridien hierher verlegt. Irgendwie hätten beide Schauplätze ganz gut zu der Band aus Newark, New Jersey, gepasst, die die plüschige Opulenz von Popoperetten ebenso liebt wie den Punkgestus. Eine Band, die es versteht, Rock farbenfroh verschnörkelt zu dekorieren, theatralisch und ironisch zugleich zu inszenieren, in ihren Songs Bowie und die Ramones zusammenzubringen. "Danger Days: The True Lives Of The Fabulous Killjoys", das aktuelle Album von My Chemical Romance, ist eine Art Konzeptalbum, das von rebellischen Kids in einem postapokalyptischen Kalifornien erzählt. Der Soundtrack dazu erweist sich als wilder, greller Vergnügungspark des Sturm und Drang. "Wir wollten uns des Pop bedienen, ihn aber mit anderen Bedeutungen aufladen, ihm das Rebellische, das Widerspenstige zurückgeben, das er vor langer Zeit verloren hat", sagt Gerard Way. "Wir haben den Pop einfach gekidnappt", ergänzt Bruder Mikey.

Und selten zuvor ist Pop so ad absurdum geführt worden wie in der Nummer "Na Na Na (Na Na Na Na Na Na Na Na Na)", mit der My Chemical Romance später das Konzert eröffnen werden, einem mit Van-Halen- und Queen-Gitarren ausgepolsterten Song, einer Brandstifter-Battlehymne, die gar nicht genug bekommen kann von Drogen, Liebe und allem, was sonst noch so zum Leben dazugehört. Von 1500 Fans umkreist, die mit bunten Schilder winken, auf denen "Na" steht, ruft Gerard Way: "Gimme more! Gimme more!"

Das Lied ist zugleich eine Antithese zu der Platte "The Black Parade" (2006), einem in Schwarz-Weiß gehaltenen Konzeptalbum über das Sterben, das My Chemical Romance in der Emoszene beliebter machte, als es der Band lieb war. So sehr, dass das britische Boulevardblatt "The Daily Mail" dem Album sogar die Schuld am Selbstmord eines Mädchens gab. "Schlimmer als den Vorwurf uns gegenüber fand ich, dass damit eine ganze Szene als eine Art Selbstmordkult abgestempelt wurde", sagt Gerard Way, "Kids, die eigentlich nur einen etwas speziellen Musik- und Modegeschmack haben."

Mit Emo und einer Teenieband wollen My Chemical Romance jedenfalls nicht mehr verwechselt werden. Darum haben sie auch bei ihrem von Coca-Cola gesponserten Gig, bei dem es keine Tickets im freien Verkauf gab, den rotzig-rumpeligen Pubrocker "Vampire Money" im Programm, einen Song, der sich über den "Twilight"-Hype auslässt. My Chemical Romance hatten sich vor zwei Jahren geweigert, ein Lied für den Soundtrack der Vampirsaga beizusteuern. "Ich führe nicht wirklich Krieg gegen diese Filme", sagt Gerard Way, "aber das Missverständnis, dass wir in diese romantische Fantasy-Ecke hineinpassen, ging einfach zu weit."

Und wer glaubt, die "Black Parade"-Songs wären nur etwas für depressiv veranlagte Jugendliche, wird beim Auftritt in Stuttgart eines Besseren belehrt. Da gibt es zum Beispiel die wunderbare Glamrocknummer "Teenagers", die sich zwischen Polka und Walzer amüsierende Burleske "Mama" und das epische "Famous Last Words", zu dem die Band Konfetti schneien lässt. Gleichzeitig schütteln My Chemical Romance mit ihrer "Danger Days"-Kunterbuntparade aber auch alles Düster-Pompöse ab. So hüpft auf dem Killesberg durch "Planetary (Go!)" ein ausgelassener Discobeat, "The Only Hope For Me Is You" lädt Synthiepop mit Rockbombast auf, "Destroya" hangelt sich an einem Nu-Metal-Riff entlang, und der Stampfer "The Kids From Yesterday" fasst die My-Chemical-Romance-Doktrin zusammen: "Hold on tight and don't look back!" "Lieber scheitere ich, als bloß auf frühere Erfolge zurückzublicken", sagt Gerard Way, "du musst das, was zuvor passiert ist, immer wieder zerstören, ignorieren, so tun, als ob es nie etwas gewesen wäre."