Mutter Teresa mit einem Findelkind in Kalkutta. Foto: Archiv

Für viele war sie schon zu Lebzeiten eine Heilige. Nun wird Mutter Teresa heiliggesprochen. Die Feier am Sonntag auf dem Petersplatz leitet Papst Franziskus. Aller kritischer Stimmen zum Trotz.

Rom - In der Ewigen Stadt wird es derzeit eine Menge Leute geben, die schlecht schlafen dürften. Nicht nur wegen der permanenten Gefahr von Terroranschlägen während der touristischen Hochsaison. Wenn am Sonntag Mutter Teresa von Papst Franziskus heiliggesprochen wird, herrscht bei den Sicherheitsbehörden Alarmstufe rot.

Barocker Prunk und liturgische Herrlichkeit

Während die italienischen Behörden noch die Nachbeben der Erdstöße vom 24. August verarbeiten müssen, rüstet sich Rom für das Mega-Ereignis des Heiligen Jahres 2016. Der Petersplatz wird brechend voll sein. Einheimische, Touristen, Pilger aus aller Welt werden dicht gedrängt inmitten von Berninis Kolonnaden stehen und der sakralen Zeremonie lauschen. Die katholische Kirche wird all ihren barocken Prunk und ihre liturgische Herrlichkeit auffahren, um die berühmteste Nonne des 20. Jahrhunderts an diesem Sonntag auf der Piazza San Pietro in den Kreis der Heiligen zu erheben.

Wer an Ordensfrauen denkt, hat ein ganz bestimmtes Bild vor Augen: eine kleine, gebückte Frau in weißblauem Gewand, die Hände gefaltet. Viele Menschen haben den „Engel von Kalkutta“ schon zu Lebzeiten wie eine Heilige verehrt. 19 Jahre nach ihrem Tod wird nun der förmliche Akt der Kanonisierung vollzogen. Auch wenn das himmlisch glorifizierte Bild der Ordensfrau Kratzer bekommen hat: Mutter Teresas Strahlkraft ist ungebrochen. Das zeigte sich etwa im September 2015, als „Der Spiegel“ Kanzlerin Angela Merkel angesichts ihres Handelns in der Flüchtlingskrise als „Mutter Angela“ im Sari auf den Titel brachte.

„Die meisten Heiligsprechungen sind lächerlich“

Kritiker werfen der mit 87 Jahren verstorbenen Ordensfrau religiösen Fundamentalismus, Eitelkeit und Ignoranz gegenüber den Ursachen des Elends vor. Sie habe nur die Symptome kuriert, nicht aber die Wurzeln der Armut bekämpft. Einer ihrer schärfsten Gegner, der britisch-pakistanische Filmemacher Tariq Ali (72), findet die Heiligsprechung einfach nur „lächerlich“. „Die meisten Heiligsprechungen sind lächerlich, aber diese hier ist auch dumm. Dieser Papst, der normalerweise sehr intelligent ist, muss die wahren Taten dieser albanischen Schwester kennen“, sagt der Autor und verweist auf den Film „Hell’s Angel“ („Höllenengel“) über Mutter Teresa, den er 1994 mit dem 2001 verstorbenen US-Autor Christopher Hitchens drehte.

In ihrer Dokumentation prangern beide die mangelhafte medizinische und soziale Betreuung in Mutter Teresas Heimen für Arme und Sterbende in der indischen Stadt Kolkata (früher: Kalkutta) an, wo die viel gepriesene Wohltäterin einen „Todes- und Leidenskult“ geschaffen habe. „Ich hoffe, dass der Papst sich „Hell’s Angel“ ansieht, wenn auch nur heimlich auf YouTube. Das könnte ihm die Augen öffnen“, so Tariq Ali.

Warum bekämpfte sie nicht die Ursachen der Armut?

Kritik entzündete sich an der schlichten Einrichtung ihrer Hospize und Krankenstationen und der minimalen medizinischen Versorgung. Auch rissen Gerüchte nicht ab, die „Missionaries of Charity“ würden Kranke auf dem Sterbebett bekehren, was Mutter Teresa stets heftig dementierte. Es gab zudem wenig Transparenz, wie der Orden die Millionen von Spendengeldern verwendete. Mutter Teresas Ablehnung von Schwangerschaftsabbruch und Verhütung stieß ebenfalls auf viel Kritik. Selbst Mitstreiterinnen wie die Ordensfrau und Lepra-Ärztin Ruth Pfau (86) vor, sich nicht um die Ursachen von Armut und Krankheit zu scheren.

Während andere Heilige auf die höchste posthume Ehre der Kirche bisweilen Jahrhunderte warten, ging es bei Mutter Teresa „subito“ – rasend schnell. Das Seligsprechungsverfahren verlief im Rekordtempo. Nur vier Jahre dauerte es, bis Papst Johannes Paul II. die von ihm hoch verehrte Ordensfrau im kürzesten Verfahren der Neuzeit am 19. Oktober 2003 seligsprach.

Engel der Armen Inbegriff des Heiligen

Was ist das Besondere an dieser Frau, die fromm und erzkonservativ bis in die letzte Faser war und deren karitative Methoden so umstritten sind? Als sie am 5. September 1997 an einer Herzattacke starb, wurde sie von den Massen längst als Heilige verehrt. Die offizielle Selig- und Heiligsprechung ist für ihre Fans reine Formsache. Mutter Teresa ist die Heilige des 20. Jahrhunderts. Inbegriff des Heiligen, die alles in sich vereint, was fromme Katholiken an ihrer Kirche lieben und was Kirchenkritiker erbeben lässt.

„Engel der Armen“ hat man sie genannt. Sich selbst sah die Ordensfrau mit dem zerfurchten Gesicht und den strahlenden Augen als „Werkzeug Gottes“. Sie habe keine Angst vor dem Sterben, „vor der Heimkehr zu Gott“, wie sie immer wieder sagte. Der Tod war ihr ein ständiger Begleiter. Nachdem sie im Jahre 1950 ihren eigenen Orden, die „Missionarinnen der Nächstenliebe“ in Kalkutta gegründet hatte, lebte sie mitten unter den Ausgestoßenen und Sterbenden der Millionen-Metropole. Die schlimmste Krankheit heutzutage, sagte sie, sei nicht Aids oder Lepra, „sondern diese schreckliche Gleichgültigkeit gegenüber unserem Nächsten“.

Während die Welt sie mit Ehrungen überhäufte, beharrte Mutter Teresa darauf, dass sie nur Gottes Arbeit tue. „Es bedeutet für mich Freude und Erfüllung, den Armen und Ausgestoßenen zu helfen, mich um sie zu kümmern.“ Die Armen bräuchten weder Sympathie noch Mitleid, sondern unsere Liebe und unser Mitgefühl.

Eine Gläubige, die zweifelt

Pater Brian Kolodiejchuk gehört dem männlichen Zweig des Mutter-Teresas-Ordens an. 2007 veröffentlichte er ein Buch mit Briefen der Verstorbenen („Komm, sei mein Licht! Die geheimen Aufzeichnungen der Heiligen von Kalkutta“). Wie jeder Mensch wurde auch sie von Zweifeln und Dunkelheit gequält. „Es herrscht eine solche Dunkelheit, dass ich wirklich nichts sehen kann – weder mit meinem Geist noch mit meinem Verstand“, schreibt sie 1961. Frieden findet sie erst, als sie die Zweifel akzeptiert. Immer wieder schreibt sie, wie glücklich sie in dieser Rolle ist, wie sehr ihr aber auch die Armut unter die Haut geht und wie die Idee in ihr reift, mit indischen Schwestern für die Ärmsten der Armen zu arbeiten.

Heute gehören Mutter Teresas Imperium der Nächstenliebe mehr als 4500 Schwestern in 133 Ländern an. Wie ihre Gründerin kleiden sie sich in einen weißen Sari mit blauer Borte – das traditionelle Gewand der niedrigsten Kaste in Indien. Sie leben und arbeiten getreu ihrem Motto: „Das Leben ist aufregend. Und am aufregendsten ist es, wenn man es für andere lebt.“