Am 4. September wird Mutter Teresa von Papst Franziskus in Rom heiliggesprochen. Foto: dpa

Mutter Teresa von Kalkutta:  Die Heilige? Was sonst! Am 4. September wird sie heilig gesprochen. Ein Kommentar.

Stuttgart - Als die Autoren und Filmemacher Christopher Hitchens und Tariq Ali 1994 ihren Dokumentarfilm über Mutter Teresa drehten, war die fromme, mildtätige Nonne aus Kalkutta längst eine lebende Legende. „Hell’s Angel“ nannten die beiden ihr Werk. „ Höllen-Engel“. Der Titel passte: Mutter Teresa, der Engel in der Hölle der Armut,der die Liebe im Schatten des Todes, der ihr ständiger Begleiter war, lebte. Dieses Bild haben die meisten Menschen vor Augen, wenn sie an die zierliche Ordensgründerin denken, die an diesem Sonntag heiliggesprochen wird.

Weil Mutter Teresa zwischen Worten und Taten keinen Unterschied machte, wurde sie schon zu Lebzeiten wie eines Heilige verehrt. Ihre Liebe galt den Ärmsten der Armen, die in der erstickenden Enge der Slums und auf den Straßen Kalkuttas dahinvegetieren. Unermüdlich kämpfte sie für jene, die von der Gesellschaft wie menschlicher Müll ausgespien werden: Säuglinge, Leprakranke, Krüppel.

War Mutter Teresa ein Engel der Hölle . . .?

Hitchens und Ali meinten es anders. Für die beiden Atheisten war Mutter Teresa nicht der Engel des Herrn in der menschlichen Hölle, sondern ein Bote aus der Hölle. Ein Gesandter des Teufels, der die Menschen mit einer trügerischen Botschaft umschmeichelt und sie über seine wahren Absichten täuscht: Statt der Welt das Heil zu bringen, manifestiert er durch vermeintliche Liebesgesten nur das Elend. Mutter Teresa habe es versäumt, sich mit den Problemen und Ursachen der Armut auseinanderzusetzen, so

Hitchens und Alis zentraler Vorwurf, der von vielen Kritikern geteilt wird. Die Frau, die jetzt heiliggesprochen wird, ist Ali zufolge eine Ikone, welche die „profane Verquickung von kitschigem Medienrummel und mittelalterlichem Aberglauben“ geschaffen habe. Hinzuzufügen wäre noch: Das ganze Brimborium um Wunder, Heiligsprechung und katholische Riten ist so was von abgeschmackt und antiquiert. etc., etc., etc. . . .

. . . oder der Engel in der Hölle?

Als weltweites Vorbild der Nächstenliebe hätte Mutter Teresa die Weichen weg von einer rein karitativen Hilfe stellen können. Das aber hätte den Schritt ins Politische bedeutet – unvorstellbar für eine so erzkonservative Katholikin. Statt nach politischen und strukturellen Lösungen zu suchen oder nach der Revolution zu schreien, half sie konkret und unspektakulär. Liebe und Gebet waren für sie die beste Medizin, auch wenn sich dadurch die sozialen Verhältnisse nicht ändern ließen.

„Was wir tun, ist wie ein Tropfen im Ozean, aber ohne diesen Tropfen wäre der Ozean leerer“, hat sie einmal gesagt. Der Wert ihres Dienstes und ihr Lebenswerk, für das sie 1979 den Friedensnobelpreis erhielt, sind unbestritten (auch für ihre Kritiker) – nicht aber ihre orthodox-katholische Überzeugung zur Abtreibung und künstlichen Empfängnisverhütung. Beides lehnte sie strikt ab mit der Begründung, dass kleine Kinder Gottes Leben seien. „Es kann niemals genug von ihnen geben.“

Sie war der Engel in der Hölle!

Angesichts der explodierenden Weltbevölkerung und des nicht enden wollenden Elends klingt das Bekenntnis befremdlich, fast zynisch. Doch Mutter Teresas Botschaft ist einfach: Jedes Leben ist ohne Unterschied heilig. Gemessen an der unermesslichen Leidensgeschichte der Menschheit hat sie vielleicht wenig erreicht.

Aber das Elend hat nicht nur eine globale und strukturelle Seite, sondern immer auch ein menschliches Antlitz. Jenen, die ausgestoßen und sterbenskrank sind, vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben Liebe und Menschlichkeit zu schenken, sah sie als ihre ureigene Aufgabe und Berufung an. Die Debatten über Armut und Unterentwicklung überließ sie anderen. Mutter Teresa war ein Engel in der Hölle – und nichts anderes.