Reade brachte die Anschuldigung gegen Biden erstmals im März öffentlich vor. Foto: AP/Donald Thompson

Für einen mutmaßlichen sexuellen Übergriff von Joe Biden gibt es keine Zeugen und keine Polizeiberichte. Viel hängt nun davon ab, als wie glaubwürdig die Frau eingestuft wird, die die Vorwürfe vorbrachte. Es könnte die Wahl mitentscheiden.

San Luis Obispo - Mit ihren Vorwürfen eines sexuellen Übergriffs in den 1990er Jahren hat Tara Reade den voraussichtlichen demokratischen US-Präsidentschaftskandidaten Joe Biden schwer in Bedrängnis gebracht. Doch wer ist diese Tara Reade? Nach umfassenden Recherchen der Nachrichtenagentur AP ist zumindest eines klar: ein einfaches Leben hatte sie nicht.

Aus informierten Kreisen erfuhr die AP, dass gegen Reade seit kurzem eine Untersuchung wegen mutmaßlichen Meineids läuft, weil sie fälschlicherweise angab, einen Universitätsabschluss von der Universität Antioch zu haben, als sie als mögliche Sachverständige zu häuslicher Gewalt in einem Gerichtsprozess befragt wurde. Am Freitag kündigte ihr Anwalt Douglas Wigdor an, dass er sie im Fall gegen Biden nicht mehr vertreten werde. Ob aus diesem Grund oder einem anderen, sagte er nicht.

Reade brachte die Anschuldigung gegen Biden erstmals im März öffentlich vor, wurde dafür von einigen als Heldin gefeiert, sah sich aber auch mit zahlreichen Anfeindungen konfrontiert. Ein Vorwurf, wie Reade ihn erhoben hat, kann oft nicht endgültig geklärt werden, wenn es keine Zeugen und keine Polizeiberichte gibt. Daher spielt nun die Glaubwürdigkeit der ehemaligen Mitarbeiterin von Biden eine entscheidende Rolle.

Biden weist die Vorwürfe vehement zurück

Die Nachrichtenagentur AP führte Interviews mit mehr als einem Dutzend Freunden, Angehörigen und früheren Kollegen Reades, sprach mit der 56-Jährigen selbst und prüfte eingehend Gerichtsdokumente, E-Mails und Aufzeichnungen Reades, um sich selbst ein Bild zu machen.

Zu ihren frühesten Erinnerungen gehört demnach körperlicher und emotionaler Missbrauch durch ihren Vater, wie Reade ihrem Exmann sagte. Diesen verließ sie später, nachdem er sie nach ihren Angaben ebenfalls missbraucht hatte.

1992 bekam Reade einen Job beim damaligen Senator Biden. Hier sei sie erneut Opfer eines Übergriffs geworden, als Biden sie auf einem Flur begrapscht und mit dem Finger in sie eingedrungen sei, sagt sie. Biden weist die Vorwürfe vehement zurück. Sie sei keine Lügnerin, die andere manipuliere und ausnutze, betonte Reade ihrerseits am Mittwoch in einem AP-Interview.

Mit dem Wunsch, Schauspielerin zu werden, ging Reade mit 17 nach Kalifornien, hatte aber offenbar keinen Erfolg. Sie besuchte ein College, wie sie erzählt, und absolvierte ein Praktikum bei einem kalifornischen Abgeordneten. Schließlich bekam sie den Job in Bidens Büro. Im Laufe der folgenden Jahre äußerte sie sich positiv über den Senator und ihre Arbeit für ihn, wie eine Bekannte aus dieser Zeit der AP sagte.

Sei Opfer von Repressalien geworden

Eine Freundin, die ihren Namen nicht nennen wollte, erklärte aber, Reade habe ihr bereits 1993 die Geschichte von dem sexuellen Übergriff erzählt, mit dem sie nun an die Öffentlichkeit ging.

Reade sagt, sie habe damals versucht, Anzeige zu erstatten, sei aber Opfer von Repressalien geworden. Sie sei aufgefordert worden, sich eine andere Arbeit zu suchen und zu kündigen.

Im gleichen Jahr lernte Reade Ted Dronen kennen, der ebenfalls im Senat arbeitete, und folgte ihm Gerichtsunterlagen zufolge nach North Dakota. Die beiden heirateten 1994 und bekamen eine Tochter. Nach einem Streit und Übergriffen bemühte sich Reade zwei Jahre später um ein Kontaktverbot gegen Dronen. Sie floh in den US-Staat Washington. Die folgenden 20 Jahre ihres Lebens verliefen turbulent.

Laut ihrem Lebenslauf erwarb Reade einen Bachelor-Abschluss an der Antioch University und arbeitete später als Dozentin am Campus der Hochschule in Seattle. Die Uni erklärte aber, Reade habe dort nicht zu Ende studiert und nie zum Kollegium gehört.

“Habe mich von dieser Last befreit gefühlt“

2004 machte Reade einen Abschluss in Jura an der Seattle University, wo sie über eine spezielle Studienzulassung studieren durfte. Sie blieb aber nie lange an einem Arbeitsplatz. Im Mai 2006 kehrte sie nach Kalifornien zurück und vertrat für die christliche Frauenorganisation YWCA Missbrauchsopfer. Innerhalb weniger Monate verlor sie den Job und verschuldete sich hoch.

In den folgenden Jahren lebte sie mit einem Mann zusammen, dem sie Körperverletzungen gegen sich und ihre Tochter vorwarf, aber dennoch bei ihm blieb. Ihre Schulden stiegen auf mehr als 400 000 Dollar, sie musste ihre Wohnung räumen und meldete Privatinsolvenz an.

2014 begann Reade, ehrenamtlich auf einem Gnadenhof für misshandelte Pferde zu arbeiten. Zwei Jahre später überwarf sie sich aber mit der Gründerin. Zuvor hatte sie dem Gnadenhof 1400 Dollar für die medizinische Behandlung ihres Pferdes in Rechnung gestellt, wie aus Unterlagen hervorgeht.

Ihre Entscheidung, mit ihren Vorwürfen gegen Biden an die Öffentlichkeit zu gehen, habe ihr Leben weiter erschwert, sei aber zugleich eine Befreiung, sagte Reade der AP. „Es hat mein Leben in vielerlei Hinsicht schwierig gemacht, aber ich tue das aus existenziellen Gründen“, erklärt sie. „Ich habe mich von dieser Last befreit gefühlt, von diesem Geheimnis, das ich gehütet habe.“