Schüler sollen auch kritische Fragen stellen – denunzieren steht nicht im Bildungsplan. Foto: Pfohlmann/tooonpool.com

Das vom AfD-Landtagsabgeordneten Stefan Räpple initiierte Meldeportal für Schüler gegen AfD-kritische Lehrer ist zwar derzeit offline, es wird aber trotzdem weiter darüber diskutiert. Lehrer und Eltern in Stuttgart haben eine klare Meinung dazu.

Stuttgart - Mein Lehrer hetzt!“, „Mein Prof. hetzt“: Unter dieser Überschrift hätten Schüler und Studierende ihre Lehrer namentlich auf einer Online-Plattform des AfD-Landtagsabgeordneten Stefan Räpple denunzieren sollen. Doch dazu kam es bisher nicht. Die Plattform, die am Donnerstag freigeschaltet wurde, ist wieder offline. „Es ist enorm, was für eine Welle die bundesweiten Meldeportale für politisch neutrale Bildungseinrichtung ausgelöst haben“, schrieb Räpples Sprecher Günter Geng auf Facebook. Die Seite seines Chefs „hat dem Angriff nicht Stand gehalten und ging technisch k.o.!“. Wer die AfD diskreditieren wolle, müsse jedoch „klare Fakten benennen – denn Hass, Hetze, Geschrei und linke Propaganda sind nicht als Argumente geeignet“.

Die baden-württembergische Piratenpartei führt die Abschaltung der Seiten auf ihre Gegenaktion zurück. Zehntausende hätten deren Angebot genutzt und Hetz-Meldungen bei der AfD Baden-Württemberg eingereicht. Dabei habe ein Zufallsgenerator AfD-Zitate ausgespuckt und sie in das Portal übertragen. „Unser Ziel war es, mit einer Aktion sowohl die menschenverachtenden Ideen der AfD aufzuzeigen als auch, dem Denunziationsportal einige relevante Meldungen zukommen zu lassen“, erklärt Michael Knödler, der Landeschef der Piraten. Auch FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke hatte dazu aufgerufen, die Plattform durch tausendfache Denunziation von Lehrern lahmzulegen, die es gar nicht gibt.

In der Stuttgarter Lehrerschaft sieht man den Umgang mit der Plattform zwiespältig

In der existierenden Lehrerschaft hingegen sieht man die ganze Angelegenheit zwiespältig. Einerseits widerstrebe es ihnen, so Stuttgarter Pädagogen gegenüber unserer Zeitung, einer Partei eine so große Bühne zu bieten. Andererseits könne man eine solche Aktion auch nicht ignorieren, da diese sich ja direkt an die – zumeist minderjährigen – Schüler richte.

Eine 16-jährige Gymnasiastin aus der Region, welche die elfte Klasse besucht, hat hierzu eine klare Meinung: „Ich werde die Plattform nicht benutzen, ich glaube auch nicht, dass das bei uns einer macht.“ Dazu gebe es auch keinen Anlass: „Unsere Lehrer vermitteln nicht das Gefühl, sie wollten uns eine politische Meinung aufdrängen.“

Der Stuttgarter Jugendratssprecher Firat Yurdakul möchte sich hingegen nicht öffentlich dazu äußern: „Wir sind zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet. Wir werden das aber auf der Jugendratssitzung ansprechen“, so der 18-jährige Abiturient.

Gymnasialleiterin: Schüler davor schützen, Rechtsbruch zu begehen

Konkret hatte die Plattform Schüler dazu aufgerufen, Lehrer zu melden, die gegen die AfD „hetzen“ sowie dazu, entsprechende „Beweise hochzuladen“. Das ist für Verena König, Leiterin des Gottlieb-Daimler-Gymnasiums in Bad Cannstatt, ein klarer Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht: „Wir müssen die Schüler davor schützen, dass eine Partei sie dazu aufruft, Rechtsbruch zu begehen.“ Denn genau dies sei der Fall, wenn Schüler Videos oder Mitschnitte vom Unterricht als „Beweis“ in die Internetplattform hochladen würden. „Dann gibt’s sofort eine Androhung von Schulausschluss und zeitweiligem Unterrichtsausschluss nach Paragraf 90.“ Denn Handys oder ähnliche Geräte müssten im Schulhaus laut Schulordnung ausgeschaltet sein. „Dieser Missbrauch wird auf jeden Fall dokumentiert“, so König. In der Medienerziehung lernten die Schüler: „Du hast das Recht auf dein eigenes Bild.“ Das gelte auch für Lehrer. Im Übrigen seien sich gerade Gemeinschaftskundelehrer „absolut der Neutralitätspflicht bewusst“.

Edwin Bartels, Leiter des Schickhardt-Gymnasiums, kann die Online-Plattform nicht ernstnehmen: „Das ist Unsinn, das entbehrt jeglicher Basis“, sagt Bartels im Blick auf deren Aussagekraft. Das Internet biete längst „Foren, wo man seinen Unmut loswerden kann“. Ihn störe aber „das unausgesprochene Misstrauen gegenüber unserer Dienstaufsicht – das halte ich für völlig unangemessen“. Zudem würden so Emotionen geschürt. Insofern habe die Schule eine große Verantwortung. „Ich bin sicher, dass das im Fach Gemeinschaftskunde thematisiert wird“, so Bartels, dessen Schule das Label „Schule ohne Rassismus und mit Courage“ trägt. „Eine Schule, die ein menschliches Miteinander hat, hat so eine Plattform nicht nötig.“

Eltern fordern kontroverse Diskussionen und keinen Internetpranger

Ähnlich sieht es auch Kathrin Grix, die Vorsitzende des Gesamtelternbeirats der Stuttgarter Schulen: „Es gibt einen offiziellen Dienstweg, den man beschreiten kann, wenn Schüler oder Eltern mit Unterrichtsinhalten nicht zufrieden sind – da braucht es keinen Internetpranger.“ Stattdessen, so Grix, „brauchen wir in der Schule kontroverse Diskussionen. Wir möchten, dass unsere Kinder demokratisch erzogen und unterrichtet werden – dazu gehört nicht, dass sie lernen, wie man andere Leute denunziert“. In ihrer Elternarbeit sei ihr in puncto Verletzung der Neutralitätspflicht „noch nie was untergekommen“. Sie befürchte aber, dass Eltern ihre Präferenzen für oder gegen einen Lehrer über ihre Kinder und diese Plattform ausleben könnten.