Spurensicherung in der Hauptstätter Straße Foto: 7aktuell.de/Eyb

Die Kripo-Ermittlungsgruppe Mammut soll die Umstände der blutigen Festnahmeaktion in der Hauptstätter Straße aufklären. Ein Polizist und zwei Drogenkuriere wurden schwer verletzt. Alles wegen vier Kilo Marihuana.

Stuttgart - Der rote Hyundai ist durchlöchert, auf dem Asphalt liegen fünf Patronenhülsen aus Polizeipistolen. Die Insassen des Kleinwagens haben Kugeln in Arme und Beine abbekommen, ein Geschoss wurde dabei offenbar so abgelenkt, dass es auf der anderen Seite den rechten Vorderreifen plättete.

Der linke Vorderreifen hat einen Polizisten überrollt, der den Wagen aufhalten wollte, als dessen Fahrer Vollgas gab. Auf der Straße liegt eine weiße Plane, sie bedeckt Kleidung, damit die Spuren daran nicht vom Winde verweht werden. Szenerie des Dramas am Mittwochabend auf der Hauptstätter Straße im Stuttgarter Süden.

Und das alles wegen vier Kilo Marihuana. Der Stoff steckte in einer Tasche und sollte von Backnang im Rems-Murr-Kreis nach Rottenburg im Kreis Tübingen gebracht werden. Gut 100 Kilometer Fahrt, etwas mehr als eine Stunde. Transportiert im roten Hyundai, am Steuer ein 21-jähriger Italiener aus dem Zollernalbkreis, polizeibekannt wegen Drogendelikten. Neben ihm ein 23-jähriger Deutscher aus Rottenburg. Er, für die Polizei bisher unbescholten, hatte das Auto seiner Mutter für die Kurierfahrt am späten Mittwochabend besorgt.

Die Polizei war längst an ihnen dran

Was beide nicht wussten: Die Polizei war längst an ihnen dran. Drogenfahnder hatten einen schwunghaften Handel mit Marihuana, synthetischen Drogen und Kokain im Raum Rottenburg und Freudenstadt festgestellt und die Urheber aufgespürt. Außer den beiden wurde ein 20-jähriger Rottenburger ermittelt. Er hielt sich am Abend in Esslingen auf, als seine 21 und 23 Jahre alten Kumpels kiloweise Nachschub in Backnang besorgten.

Die Übergabe bei den Backnanger Lieferanten, einem 18-jährigen Deutschen und einem 22-jährigen Spanier, wurde von Drogenfahndern und Beamten des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) beobachtet. Letztere Einheit ist stets dabei, wenn es um Festnahmen unter gefährlichen Umständen geht.

Der Trumpf der MEK-Beamten ist ihre Unscheinbarkeit. Sie tauchen auch mal als Radfahrer oder Jogger auf – je nach Situation. Das unterscheidet sie von einem Spezialeinsatzkommando (SEK), das mit Helm und unter Vollschutz eher militärisch-rustikal Gefahrenlagen entschärft.

Von Backnang aus verfolgen die Beamten die beiden Verdächtigen. Die Fahrt geht von Backnang auf der B 14 durch die Stuttgarter Innenstadt. Warum es unterwegs keine Gelegenheit zu einem Zugriff gibt, ist eine ungelöste Frage. „Wir können zu laufenden Ermittlungen keine Auskunft geben“, sagt der Sprecher des Polizeipräsidiums Einsatz in Göppingen, Roland Fleischer. Die Arbeit der MEK-Einheiten, die in Stuttgart, Göppingen, Freiburg und Karlsruhe stationiert sind, sei „einer der sensibelsten Bereiche der Polizei“. Daher müsse man sich hier eher zugeknöpft geben, so Fleischer. Es sei eine Lebensversicherung, dass man die Beamten nicht kenne und dass man sie taktisch nicht ausrechnen könne.

Beamter handelt entgegen dem Grundsatz der Eigensicherung

Der rote Hyundai mit Tübinger Kennzeichen und seine Verfolger sind gegen 21.15 Uhr nach etwa 35 Kilometern in der Stuttgarter Innenstadt unterwegs und haben auf der B 14 den Österreichischen Platz Richtung Heslacher Tunnel passiert, als sich die Lage offenbar dramatisch ändert.

Etwa auf Höhe der Fangelsbachstraße, gegenüber dem einstigen Möbelhaus Mammut, entschließen sich die Verfolger dazu, die beiden Kuriere festzunehmen. Warum hier? Hatten die Verfolgten Verdacht geschöpft? Drohte dadurch unmittelbar eine wilde Verfolgungsjagd? Oder hielt eine rote Ampel 40 Meter weiter auf Höhe der Cottastraße den Verkehr auf? War es die im Polizei-Lehrbuch genannte „günstige Gelegenheit“, weil der Hyundai stand?

Ein 32-jähriger Beamter steigt aus und stürmt auf den Hyundai zu. Warum er entgegen dem Grundsatz der Eigensicherung vor den Wagen gerät und so mit Vollgas umgefahren wird „ist bisher unklar“, sagt Polizeisprecher Stefan Keilbach. Zwei Beamte feuern auf die Fahrerseite des Wagens, der zum Stehen kommt. Der angefahrene Polizist ist schwer verletzt, die Drogenkuriere ebenso. Waffen hatten sie keine dabei. Die Kripo hat eine Ermittlungsgruppe namens Mammut eingerichtet, die alle Fragen beantworten soll. Dem 21-Jährigen wird versuchter Mord vorgeworfen.