Die Anwälte rechnen damit, dass sich bis zu 500 000 Menschen – auch aus dem Ausland – in das Klage-Register eintragen werden. Foto: dpa

Am 1. November wird die Musterfeststellungsklage gegen VW eingereicht – eine Premiere in Deutschland. Dem Konzern drohen Schadenersatzleistungen in Höhe von fünf Milliarden Euro, plus weitere fünf Milliarden Euro Prozesskosten.

Berlin - In Deutschland erfolgt in Kürze ein Schritt auf juristisches Neuland: Am 1. November wird vor dem Oberlandesgericht Braunschweig die Musterfeststellungsklage gegen VW eingereicht. Dem Konzern könnten Schadenersatzforderungen von fünf Milliarden Euro drohen, plus fünf Milliarden Euro Prozesskosten – schätzt Ralph Sauer, einer der Anwälte, der die Klage mit auf den Weg bringt.

Herr Sauer, Ihre Kanzlei „Dr. Stoll und Sauer“ bringt zusammen mit einer Düsseldorfer Partnerkanzlei die Musterfeststellungsklage gegen VW auf den Weg. Warum gerade diese beiden?

Wir führen bereits über 70 Prozent der bisherigen Einzelverfahren gegen VW. Deshalb lag es nahe, uns für eine gemeinsame Bewerbung zusammenzuschließen. Nur für diesen Anlass haben wir aus beiden Gesellschaftern eine gemeinsame Zweckkanzlei gegründet.

Wann wird die Klage eingereicht?

Am 1. November. Das ist auch der frühste mögliche Zeitpunkt.

Was bedeutet der Termin für betroffene VW-Kunden?

Zwei Wochen nach Einreichung der Klage wird beim Bundesamt für Justiz das Klageregister eröffnet. Da können sich dann alle Menschen kostenlos eintragen, die meinen, dass die Klage für sie relevant sein kann. Bis zum Tag vor der Eröffnung der mündlichen Verhandlung kann sich jeder noch einschreiben. Aussteigen kann man noch am Tag der mündlichen Verhandlung bis 24 Uhr. Danach ist der Würfel gefallen. Am Tag nach der Eröffnung der mündlichen Verhandlung ist das Register geschlossen. Niemand kann mehr rein, aber auch niemand mehr raus. Das ist wichtig: Wer also im Laufe des Verfahrens auf die Idee käme, lieber auszusteigen, kann das nicht mehr.

Warum sollte ich mich also als Betroffener also überhaupt registrieren lassen?

Wer mitmacht, hat sämtliche Vorteile, die durch die Bindungswirkung eines Urteils entstehen. Wenn wir das Verfahren gewinnen, hat jeder Registrierte die Gewissheit, dass er Schadensersatz bekommt, denn die Grundsatzfrage ist dann ein für allemal geklärt. Das muss dann nicht mehr in einem Einzelverfahren geklärt werden. Er kann übrigens auch sicher sein, dass seine Ansprüche nicht der Verjährung anheimfallen, was bei einem individuellen Klageweg ein großes Problem darstellt.

Aber wenn die Musterfeststellungsklage scheitert?

Dann steht für die Registrierten der individuelle Klageweg nicht mehr offen.

Welcher Personenkreis kommt denn für die Registrierung in Frage?

Alle, die von einer Manipulation durch VW betroffen sind. Es geht um die Marken Volkswagen, Audi, Skoda und Seat mit Dieselmotoren des Typs EA189.

Was ist das genaue Ziel der Musterfeststellungsklage?

Die Musterfeststellungsklage soll die Grundsatzfrage klären, ob VW schadenersatzpflichtig ist. Es geht also nicht um die Feststellung einer konkreten Schadenshöhe. In den USA könnten Richter festlegen, dass zum Beispiel 20 Prozent oder 25 Prozent des Kaufpreises generell als erlittener Schaden zu gelten hat. Bei uns geht das nicht. Das ist übrigens keine aus der Luft gegriffene Größe. Bei den Leasing-Rückläufern erleben wir gerade, dass die Autohäuser diese Wagen eben nur um so eine Größenordnung billiger erneut anbieten können.

Was müssen Sie VW nachweisen, damit das Gericht zum Schluss kommt, dass der Konzern Schadenersatz zahlen muss?

Wir müssen nachweisen, dass VW in deliktischer Hinsicht gehandelt hat. Im normalen Deutsch: Wir müssen nachweisen, dass der Konzern betrogen und getäuscht hat – mit Vorsatz oder fahrlässig.

Ist das nicht längst hinreichend festgestellt?

Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass irgendein Gericht das anders sieht. Schon aus dem Grund, dass die entsprechenden Bußgelder bezahlt wurden. Es gibt ja auch den Bericht der von VW selbst zur Aufklärung der Angelegenheit beauftragten Anwaltskanzlei, den VW nicht veröffentlicht hat, weil offenbar zu viel drin steht, was dem Konzern schaden könnte. Wir werden in der Verhandlung sicher die Vorlage verlangen. Die bisherigen Einzelverfahren zeigen, dass die Gerichte die Vorwürfe für so dicht halten, dass es nun an VW ist, das Gegenteil zu beweisen.

Nehmen wir an, dass die Klage erfolgreich verläuft. Was müssen dann die Betroffenen tun, die im Register eingetragen sind?

Die müssen dann individuell ihren Anspruch einklagen. Der große Vorteil: Das Verfahren beginnt dann auf der Grundlage des geklärten Sachverhalts, das VW schadenersatzpflichtig ist. Es geht dann nur noch um die Höhe des individuellen Schadens. Zwei Drittel des Prozess-Risikos sind also schon mal weg.

Was würden Sie dann für ihre Mandanten fordern: dass VW die Autos zurücknimmt, oder dass ihnen ein Ausgleich gezahlt wird?

Das hängt dann ganz vom Wunsch des einzelnen Betroffenen ab. Wer das Fahrzeug zurückgibt, muss sein Geld zurückerhalten – einschließlich der getätigten Investitionen ins Fahrzeug, plus entgangener Zinsen. Andererseits muss ein Betrag dafür abgezogen werden, dass man das Fahrzeug ja auch genutzt hat.

Wie viele Menschen, glauben Sie, werden sich im Rahmen der Musterfeststellungsklage in das Register eintragen?

Ich denke, es werden sich 200 000 bis 500 000 Menschen daran beteiligen. Darunter sind dann sicher auch Betroffene aus dem europäischen Ausland.

Wenn 500 000 Menschen schadenersatzberechtigt sind und der Schaden ersetzt wird, rechnet sich das für VW zu einer gewaltigen Summe hoch…

Wenn jeder Einzelne dann auch klagt und damit durchdringt, wird es sicher teuer. Wenn wir pro Verfahren nur mit 10 000 Euro Schadensersatz rechnen, kämen wir auf fünf Milliarden Euro. Rechnet man die Prozesskosten dazu, käme man vielleicht auf zehn Milliarden.