Gemeinsam mit einem Streetworker probieren sich Jugendliche im Klangstudio der Stuttgarter Stadtbibliothek an E-Gitarre, Drums und Piano aus. Wie das Konzept in Zukunft aussehen wird, soll eine Testphase zeigen.
S-Mitte - Ricardo liebt die Drums. Mit konzentriertem Blick bewegt der Jugendliche die Sticks auf und ab. Ein paar verirrte Schläge, ein paar verunglückte Beats, dann endlich findet er seinen Rhythmus und grinst zufrieden. Obwohl er vor ein paar Jahren bei einem Onkel schon mal vor einem Schlagzeug saß, probiert sich Ricardo an diesem Tag zum ersten Mal an einem professionellen Gerät aus – und hat seinen Spaß daran.
„Seit zwei Tagen redet er von nichts anderem mehr mehr als davon, endlich die Drums ausprobieren zu dürfen“, sagt der Streetworker Simon Fregin, der Ricardo erst vor einigen Monaten im Europaviertel kennengelernt hat. Nun sitzt er gemeinsam mit ihm im neu konzipierten Klangstudio der Stadtbibliothek und erkundet die Welt der Musik.
E-Piano, Bass, Gitarre und Schlagzeug stehen angehenden Hobby-Musiker in einem kleinen, quadratischen Raum im ersten Stock zur Verfügung. „Hier sollen Menschen die Möglichkeit haben, schnell und ohne Hürden Musik zu machen“, erklärt Silvio Scarlatella, der die Idee zum Studio als Praktikumsprojekt entwickelte. Wenn man das Klangstudio als Zuhörer betritt, wirken die Musiker dort zunächst wie aus einem 20er-Jahre-Stummfilm. Der Grund: Der Raum ist vollkommen still, die Instrumente sind einzig über Funkkopfhörer synchronisiert. Schämen, wenn man etwas daneben gehe, müsse sich hier niemand, sagt Scarlatella. Dank der Kopfhörer könnten Außenstehende den Fehler schließlich nicht hören.
Ein Raum für Jugendliche
Eine niederschwellige Experimentierfläche für alle, die gerne aktiv Musik machen wollen, will das Klangstudio also einst werden. Momentan befindet es sich noch in seiner ersten Testphase. Jeden Mittwoch zwischen 17 und 19 Uhr können Interessierte dort unter Betreuung von Simon Fregin musizieren. Seit März 2018 arbeitet der Streetworker im Europaviertel. „Das Interesse an Musik ist bei den Jugendlichen groß“, sagt Fregin. Mit dem Klangstudio will er all jenen Zugang zur Bibliothek verschaffen, die das Angebot sonst vielleicht gar nicht wahrgenommen hätten. „Wir merken immer wieder, dass Plakate nicht gelesen und Angebote gar nicht gesehen werden. Ich bin da eine Art Brücke“, sagt er.
Ab Februar sollen Interessierte, die 18 Jahre oder älter sind, zusätzlich auch jederzeit ohne den Streetworker im Klangstudio aktiv werden dürfen – wenn sie denn einen Bibliotheksausweis haben. „Die Altersgrenze für die zweite Testphase haben wir festgelegt, weil die Instrumente empfindlich sind und wir ab diesem Alter erwarten können, dass die Jugendlichen respektvoll mit ihnen umgehen“, sagt Frederik Berger von der Stadtbibliothek.
Gerne könnten sich auch ganze Bands einmal zum Jammen im Klangstudio anmelden, meint er weiter. „Nur dass man sich den Raum regelmäßig als Proberaum blockt, das wollen wir nicht. Hier sollen schließlich alle Zugang haben.“
In Zukunft soll es auch Silent Concerts geben
Wenn sich das Ganze etabliert hat, kann Berger sich vorstellen, das Konzept zusätzlich auszuweiten. Pädagogisch ausgebildetes Personal könnte dann zum Beispiel Einsteiger-Workshops an den verschiedenen Instrumenten anbieten. „Wir wollen damit keine Konkurrenz zu den Musikschulen sein“, betont Berger. „Bei uns ginge es dann wirklich nur um erste Kontakte mit Gitarre, Bass und Co.“ Auch ein Silent Concert könnte er sich vorstellen: Über die Funkkopfhörer sollen Zuhörer dann an die Instrumente gekoppelt sein und Teil eines Konzertes sein, das für Außenstehende nicht hörbar ist. Was genau davon letztlich umgesetzt wird, ist momentan allerdings noch nicht sicher. „Wie gut alles funktioniert, wird die Testphase zeigen“, sagt Berger. Drei Monate geht diese insgesamt. Eine offizielle Eröffnung des Klangstudios soll dann schließlich im März stattfinden.