Hans Christoph Rademann Foto: Musikfest

Als Hans-Christoph Rademann am Montagabend zu einem Konzert mit Werken aus Schütz’ 1650 veröffentlichtem drittem Band der „Symphoniae sacrae“ lud, war die Stadtkirche Bad Cannstatt ­pickepackevoll,

Stuttgart - Die Zeiten könnten schwierig sein. Erst räumt der Stuttgarter „Bach-Papst“ seinen Stuhl, und dann will sein Nachfolger die Bibel nicht nur mit Bachs Hilfe erklären, sondern bringt aus der mitteldeutschen Fremde auch noch den älteren Dresdner Hausgott Heinrich Schütz mit – außerdem, gleichsam als Ministranten, die Sänger des eigenen Dresdner Kammerchors.

Das könnte beim Publikum des Musikfests durchaus für Irritationen sorgen. Doch welch ein Irrtum: Als Hans-Christoph Rademann am Montagabend zu einem Konzert mit Werken aus Schütz’ 1650 veröffentlichtem drittem Band der „Symphoniae sacrae“ lud, war die Stadtkirche Bad Cannstatt pickepackevoll, und weil die Zuhörer sich so laut und lange begeisterten, wurde der Abend schließlich sogar zu einer absoluten Rarität: zu einem geistlichen Konzert mit Zugabe.

Denkwürdig war die Veranstaltung aber auch vorher schon, denn man konnte hören, warum Rademann heute dank seiner Gesamteinspielung der Werke Heinrich Schütz’ (bei Carus) in Sachen Schütz wie auch in Sachen frühbarocken Ensemblesingens als stilbildend gilt. Eine so feine Balance zwischen Text und Musik, Artikulation und Klang, Schlichtheit und Ausdruck muss man bei den Werken des vielleicht wortbezogensten aller Komponisten erst einmal hinbekommen.

Mit großer Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit, klar, präzise und beschwingt gestalteten der kleine, mit jungen Sängern besetzte, stimmlich exzellent homogenisierte Chor und die ebenfalls fein verschmolzenen Solisten die ausgewählten Werke, und mit oft spürbarer Lust und Hingabe drangen sie, angetrieben, begleitet und getragen von den quicken Instrumentalisten des Dresdner Barockorchesters, in die subtilen musikalischen Bilder ein, mit denen Schütz die vertonten Bibelverse begreifbar machen will.

Da diese Bilder eher feinen Radierungen gleichen als Ölgemälden, dürfte mancher ein bisschen Zeit gebraucht haben, um den Zauber der Interpretationen von Schütz’ Bibel-Interpretationen, denen Rademann all die immer noch verbreiteten nachromantischen Effekthaschereien ausgetrieben hatte, zu spüren und zu begreifen. Dann aber konnte man versinken in die sprechende Klangsinnlichkeit etwa des Duetts der besorgten Eltern Maria und Joseph, die ihren Jesus suchen („Mein Sohn, warum hast du uns das angetan?“), oder der Flucht Sauls vor Gott. Jetzt wurden sie und andere zu kleinen dramatischen Szenen, in denen sich Schlichtheit und Gefühl, Berichten und Erleben die Waage hielten. Ein leiser, aber eindrucksvoller Abend: überhaupt nicht schwierig, aber ungemein schön und so reich.