Im Club Wizemann gab es Bach-Jazz im Trio, und im Mozartsaal dirigierte Reinhard Goebel eine Miniaturoper von Johann Adolph Hasse.
Stuttgart - Bach auf der Hammondorgel? Klingt wunderbar, wie man jetzt im coolen Stuttgarter Club Wizemann hören konnte: mal maunzend, jaulend, kreischend, dann wieder hell plätschernd wie ein Gebirgsquell oder warm und dunkel glucksend wie das Murnauer Moor. Unter dem jazzbarockigen Motto „Bach in Blue“ war der Trompeter Daniel Schmahl im Trio angereist. Orgelvirtuose Marius Leicht – mit wehendem langem Haar und Bart – legte sich mächtig ins Zeug, um in der beschränkten Zeit des Konzerts wenigsten einen Teil der schier unendlichen Soundkombinationsmöglichkeiten der Hammond ins Spiel zu bringen. Das gelang ihm vorzüglich, spielte er doch auf einem Originalinstrument aus den 1960er Jahren samt Leslie-Lautsprechern, deren rotierenden Reflektoren für den typischen Hammondsound verantwortlich sind. Perfekt ließ sich darauf auch groovender Walking-Bass imitieren.
Bach und Jazz zusammenzubringen ist derweil nichts Neues. Und Led Zeppelins „Stairway to heaven“ mit Bachs „Air“ oder Luis Fonsis „Despacito“ mit dem zweiten Brandenburgischen Konzert zu kreuzen auch nicht. Und muss man das Adagio aus Bachs g-Moll-Violinsolosonate unbedingt auf einer sechssaitigen E-Viola pomposa spielen, die viel zu fett klingt für dieses introvertierte Stück? Aber die Mischung macht’s: Und so konnte Matthias Zeller auf seiner E-Viola immer wieder mit teufelsgeigerischen Improvisationen beeindrucken. Es gab auch neu Komponiertes zu hören, wie etwa Johannes Gebhardts „Jesus Groove“, in dem der Bachchoral „Jesu, meine Freude“ verbraten wird. Für Unterhaltung war jedenfalls gesorgt, wobei Daniel Schmahls Intermezzo-Parlandi von einer Umzugskiste Bachs, die sich auf die Karibik-Insel Saint Thomas verirrt hat, ein bisschen was von einer Kinderstunde hatte – wären da nicht die Altherrenwitze gewesen. Seine Trompetensoli derweil verströmten melodienselige Wohlfühlatmosphäre, am beeindruckendsten, wenn er Chorus-Effektgeräte zuschaltete. Alles in allem ein netter, entspannter Bar-Jazz-Abend ohne harmonische und rhythmische Wagnisse.
Sonia Pria singt virtuose Da-Capo-Arien, Sibylla Rubens sorgt für Zwischentöne
Gewagter war da schon das Samstagabendkonzert im Mozartsaal mit dem Stuttgarter Kammerorchester in der Leitung des extrovertierten Barockspezialisten Reinhard Goebel. Mutig etwa das Outfit der mit hippem Irokesenschnitt, in Glitzerstilettos zu schwarzer Röhre und Weste singenden Altistin Sonia Prina. Schließlich gab sie in der Zwei-Personen-Mini-Oper „Marc’Antonio e Cleopatra“, einer „Serenata“ von Johann Adolph Hasse, den männlichen Part, der schon bei der Uraufführung 1725 von einer Frau übernommen wurde: den römischen Feldherrn Marc Anton, der gerade eine Schlacht verloren hat und der nun Kraft zu schöpfen sucht in der Liebe zu Cleopatra, die wiederum 1725 vom berühmten Kastratensopran Farinelli gesungen wurde.
Eine Menge virtuoser Da-Capo-Arien waren zu bewältigen. Prina sang ihren Part mit wahrhaft männlich-mächtiger Präsenz. Mit breiter Brust stemmte sie die Töne, schoss so manchen Ton hinaus wie Amor seine Pfeile – wobei die Koloraturen oft etwas gehackt und die recht häufigen Zwischenatmer nach harter Arbeit klangen. Imposant war ihre Vorstellung aber allemal: Für Marc Anton war eben auch die Liebe wie ein Kampf gegen ein ganzes Heer, und so wurden die Liebesduette zum Duell. Problemlos konnte sich Sibylla Rubens als Cleopatra gegen die Stimmkraft des Liebeswiderparts durchsetzen. Vor allem: Sie sorgte an diesem Abend für die feinen Zwischentöne: vom Herzschmerz über Todessehnsucht bis hin zu geballter Wut. Sie sang das eindringlich, schön und kraftvoll, mit geschmeidigen, blank geputzten Koloraturen und mit sicher und weich erreichter Höhe.
Das Stuttgarter Kammerorchester, befeuert von der zackigen Gestik Goebels, steuerte den passenden Begleitsound bei: mal spritzig aufbrausend, mal zart und gefühlig. Das Publikum war von so begeistert, dass sich Goebel am Ende dafür entschuldigen musste, keine Zugabe vorbereitet zu haben. Schade!