Das Ensemble Il Gusto Barocco mit Jörg Halubek (Mitte, am Cembalo) in der Stuttgarter Stiftskirche Foto: Holger Schneider

Das Ensemble Il Gusto Barocco enträtselt Bachs „Musikalisches Opfer“

Stuttgart - Im englischen Sprachraum gibt es ein schönes Wort. „Sophisticated“ nennt man Dinge, die kultiviert und gebildet sind, differenziert, komplex, und die den Menschen vor Herausforderungen stellen. Das Musikfest-Konzert mit dem Stuttgarter Ensemble Il Gusto Barocco war all das, denn die Musiker um den Cembalisten Jörg Halubek entschlüsselten eine der intellektuellsten Kompositionen Johann Sebastian Bachs. Das „Musikalische Opfer“ mit dem berühmten „Königlichen Thema“ nahm das Quartett in der Stiftskirche unter die Lupe und zeigte, wie viel Komplexität in ihm steckt. In den „Canon“ genannten Fugen brennt Bach ein Feuerwerk der kontrapunktischen Kunststücke ab. So lässt er beispielsweise einen Instrumentalisten das Stück oben beginnen, während der zweite Musiker vom Ende her rückwärts zu musizieren beginnt. Die Geigerin Leila Schayegh und ihr Cello-Partner Jonathan Pešek zelebrieren das mit filigraner Tongebung und differenziertem Spiel, bei dem sich die beiden Stimmen umranken, einander nachahmen und ins Wort fallen. Und weil nicht nur die Musik, sondern auch die Künstler „sophisticated“ sind, machen sie sich einen Spaß daraus, das Ganze zu wiederholen und dabei die Rollen zu tauschen.

Die Moderation der Musiker hemmt den Fluss der Musik

Pešek und Halubek geben zudem den Moderator und erläutern vorab die kompositorischen Kunstfertigkeiten, geben den Hörern somit eine Verstehenshilfe bei der Enträtselung der polyfonen Kabinettstückchen, was sicher eine gute Idee ist, dem Konzert aber auch den Fluss nimmt. Und das ist schade, denn Il Gusto Barocco ist zweifellos ein herausragendes Ensemble. Faszinierend ist beispielsweise der Dialog von Leila Schayegh und Claire Genewein (Traversflöte) im Allegro-Teil der „Sonata sopr’il soggetto reale“. Nicht nur, dass beide die virtuosen Stimmen geradezu spielerisch leicht erscheinen lassen. Violine und Flöte ergänzen sich zudem perfekt in der Klangbalance und machen somit die komplexe Faktur deutlich hörbar, ohne sie zur Schau zu stellen. Vielmehr fügt sich alles zu einem zwingenden, klaren Bogen und Fluss, in dem auch mal ein imaginärer Scheinwerfer auf das Cello gerichtet wird, wenn es das königliche Thema anstimmt und somit ein Gegengewicht zu den figurativen Oberstimmen bildet.

Genau dieses plastische, auf extreme Durchhörbarkeit fokussierte Musizieren prägt auch Jörg Halubeks Spiel am Cembalo. Wie er im eröffnenden Ricercar das Ineinander von Thema und Gegenstimmen entschlackt und klanglich voneinander absetzt, ist verblüffend.

Man erkennt in diesem einstündigen Programm also, dass die „Sicht auf Bach“ von Il Gusto Barocco eine analytisch geschärfte ist, die Sinn für spielerische Elemente hat, hier mal einen harmonischen Querstand betont, dort einen französisch anmutenden punktierten Rhythmus als Effekt hervorhebt und das Ganze selbstverständlich und natürlich erscheinen lässt, auch wenn es „very sophisticated“ ist und somit die Herausforderung zum Genuss macht.