Philippe Herreweghe Foto: Holger Schneider

Henry Purcell, behauptet Philippe Herreweghe, sei „der stärkste Komponist, den Großbritannien je hervorgebracht hat“. Beim Abschlusskonzert des Musikfests dirigierte der belgische Meister der alten Musik im Beethovensaal Werke des englischen Meisters der Barockmusik.

Henry Purcell, behauptet Philippe Herreweghe, sei „der stärkste Komponist, den Großbritannien je hervorgebracht hat“. Beim Abschlusskonzert des Musikfests dirigierte der belgische Meister der alten Musik im Beethovensaal Werke des englischen Meisters der Barockmusik.

Stuttgart - Eine Zugabe vor der Pause? Gibt es sonst nur nach Konzertstücken in philharmonischen Programmen. Dann beweisen die Solisten, indem sie einen Suitensatz Bachs spielen oder ein Prélude von Chopin, dass sie auch alleine etwas ganz Besonderes sind. Anders beim Collegium Vocale Gent: Als das belgische Ensemble des Dirigenten Philippe Herreweghe dem Publikum beim Abschlusskonzert des Musikfests vor der Pause eine Zugabe gewährt, geht es nicht um die Profilierung eines einzelnen oder auch mehrerer Interpreten, sondern nur um einen Komponisten, der in Deutschland bislang noch keine rechte Heimat fand. „Dieses Stück von Henry Purcell“, kündigt der Dirigent dessen Krönungshymne „My Heart is Inditing“ lächelnd an, „ist sehr schön“. Der zugegebene Beweis dauert etwa zwölf Minuten. Anschließend wendet sich Herreweghe abermals um und kündigt „noch ein sehr schönes Stück“ an – aber nach der Pause.

So wird das Konzert, obwohl der Beethovensaal für Purcells intime, stille Musik eigentlich überdimensioniert ist, zu einem schönen Konzert mit Ansage. Das hätte riskant sein können – wenn sich die hohe Qualität der Sänger und Instrumentalisten nicht immer wieder von neuem bestätigt hätte. Am Sonntagabend zeigt sich das Collegium Vocale Gent als junges, hoch professionelles, (mit leichten Abstrichen beim Bass) stimmschönes Ensemble mit fein verschmolzenen Stimmen und lebendigem Sprachgestus, dessen Mitglieder problem- und bruchlos zwischen solistischem und chorischem Singen wechseln. Mit großer Gelassenheit und spärlichen Bewegungen lässt Herreweghe die Musik fließen, gibt er dem dicht gewobenen Chorsatz Raum, und selbst die Schärfung von Purcells punktierten Rhythmen kann er im Detail seinen kundigen, wachen Musikern überlassen. Man kann sich fallenlassen in diese Musik, in der italienisch gesungen, französisch getanzt und in der die Fülle des Wohllauts dann auch noch mit sehr vielen Terzen versüßt wird.

Nur am Ende ist es des Zuckers zu viel. Henry Purcells Cäcilienode (sie ist das „sehr schöne Stück“ des zweiten Konzertteils) ist, wie alle klanglichen Devotionalien an die römische Schutzpatronin der Musik, ein Lob der Klangkunst mit deren eigenen Mitteln, und die Kombination des Ungebrochen-Affirmativen mit der Länge des Stücks undseiner gereihten Struktur wirken ermüdend. Man bekommt Appetit auf weniger Süßes. Auf Herzhaftes. Auch auf Widerständiges.

Im ersten Programmteil gibt es davon ein wenig. Zum Beispiel in der harmonischen Bodenlosigkeit, die zwei Tenöre und ein Basses gemeinsam im „O, I’m sick of life“ durchleben , bis sie schließlich hörbar dem Land anheimfallen, wo (so der Text) „Tod, Verwirrung, endlose Nacht und Trauer herrschen“. Hier nähert sich Purcells Musik auf packende Weise. Auch in den Begräbnisgesängen zu Beginn und im „Let mine eyes run down with tears“ finden sich solche Momente. Ihr Schmerzpotenzial reizt Philippe Herreweghe nicht aus. Wenn man gegen diesen schönen Abend etwas einwenden kann, dann nur, dass er ein bisschen zu schön ist. Purcell kann kaum an-, wohl aber um einiges aufregender sein.