Joni Mitchell trat in den 60er-Jahren als eine ganz neue Art Liedermacherin an. Foto: Arte/Henri Diltz

Mit der Doku „Joni Mitchell – Hippie Folk Goddess“ und einem Konzert der Liedermacherin von 1970 erzählt Arte vom Absturz der 60er-Jahre-Hoffnungen.

Für einen großen Moment des Musiksommers hat Ende Juli mal keine bombastische Bühnenshow mit vom Weltall aus sichtbaren Pyro-Effekten gesorgt, sondern eine zierliche ältere Dame. Beim Newport Folk Festival trat die 78-jährige Liedermacherin Joni Mitchell auf. Die gebürtige Kanadierin musste aus gesundheitlichen Gründen einen großen Teil ihres Sets sitzend absolvieren, und eigentlich war gedacht, dass ihr vor allem gehuldigt werden sollte: von jüngeren Stars der Singer-Songwriter-, Country- und Alternative-Rockszene, die von ihr stark beeinflusst worden sind: Brandi Carlile und Marcus Mumford etwa.

Mitchell, die seit über 20 Jahren keine Konzerte mehr gegeben hatte, sang ihren epochalen Klassiker „Both Sides now“ und Teile von anderem trotzdem selbst, auch wenn ihre Stimme sich nicht mehr wie früher durch drei Oktaven bewegen kann. Wer dank erfahrungsbegrenzter Jugendfrische oder durch falsche bisherige Lebenszeitverteilung nicht ganz nachvollziehen kann, warum das für viele im 20. Jahrhundert sozialisierte Hörerinnen und Hörer ein extrem anrührender Moment war, dem kann die Arte-Dokumentation „Joni Mitchell – Hippie Folk Goddess“ von Clara und Julia Kuperberg an diesem Freitag gewiss auf die Sprünge helfen.

Empfindsam bis zur Wundheit

Schon der Titel macht klar, dass wir es hier nicht einfach mit noch einer talentierten Songschreiberin zu tun haben: Die oft empfindsam bis zur schmerzenden Wundheit, also einschüchternd zart wirkende Mitchell ist zugleich eine überlebensgroße Gestalt. Der Filmtitel weist aber auch auf ein Karrierehindernis hin: Mitchell hat das Label Folksängerin ganz zu Recht als Verkleinerung empfunden, als Versuch, sie in eine Nische abzuschieben, in der originäre Schöpfungskraft oft hinter der Pflege vorgefundenen Materials zurücktritt. Und das war nie Mitchells Sache.

Als sie in den Sechzigern die Szene betrat, fiel sie schnell mit ihren sehr persönlichen Liedern auf, die musikalisch wie textlich damals ganz für sich standen. Einerseits erwiesen ihr gerade auch Kollegen viel Bewunderung. Andererseits war die große, originelle, den Folksong zum ganz individuellen Kunstwerk weiterentwickelnde Kopf damals eben Bob Dylan. Bewusst wie unbewusst wollte die Männerwelt der neuen Musik dem Helden keine Frau gleichwertig an die Seite stellen. So wurde Mitchells Schaffen verehrt – und zugleich weiter Folk genannt.

Die Doku der Kuperbergs erzählt, wie innig verwoben Mitchell mit dem Traum eines neuen, besseren Zeitalters war, und wie sehr sie der Absturz der Hippieträume in Drogenwahn, Wirrnis und radikalen Politfrust verstörte. Ein schöner Moment der Konfrontation von Hoffnung und Realität fand etwa 1970 beim Isle-of-Wight-Festival statt. Die Doku zeigt Ausschnitte. Aber im Anschluss um 22.40 Uhr bietet Arte Murray Lerners Dokumentarfilm über Mitchells Auftritt beim Festival – eine wunderbare Ausgrabung.

Joni-Mitchell-Abend bei Arte. Freitag, ab 21.45 Uhr. Doku und Konzert in der Mediathek.