Hannelore Schäfer sitzt zu Hause an ihrem Klavier. Die Notenblätter stammen noch aus der früheren DDR. Etwas zerfleddert sind sie, erfüllen aber ihren Zweck. Foto: Ines Rudel

Hannelore Schäfer hat eine Urkunde mit Seltenheitswert: Sie ist von der Evangelischen Landeskirche für 60 Jahre Organistinnendienst ausgezeichnet worden. Die Nürtingerin spielt auch künftig Kirchenorgel. Ihr Musiktalent hat sie weitervererbt.

Nürtingen - Hannelore Schäfer ist eine Frau der Superlative. Mitte der 1970er Jahre war sie die älteste Studentin an der Kirchenmusikhochschule der Evangelischen Landeskirche, die damals noch in Esslingen war. Gleichzeitig war die Musikerin aus Nürtingen, als sie 1977 ihre Prüfung ablegte, mit 46 Jahren eine ziemlich junge Großmutter. Und jetzt feiert Hannelore Schäfer ihr Jubiläum als Organistin. „60 Jahre im Bann der Kirchenmusik“ – unter dieser Überschrift stand vor wenigen Wochen ein Festgottesdienst in der Hardter Friedenskirche. Ans Aufhören denkt die rüstige 88-Jährige keineswegs. Solange es geht, spielt sie weiter die Kirchenorgel.

Ein Musikstudent weckt die Orgelleidenschaft

Begonnen hat ihre Karriere als Organistin 1958 in Weiler an der Zaber. Dort saß sie in jenem Jahr zum ersten Mal an der Orgel. Der örtliche Pfarrer damals hatte gewusst, dass Hannelore Schäfer Klavier spielte. Also klopfte er bei ihr an. Zunächst spielte sie die Orgel nur manual, doch Hannelore Schäfer hatte den Ehrgeiz, auch die Pedale einzusetzen. Sie belegte Kurse, und nach dem Umzug nach Filderstadt-Plattenhardt nahm sie Orgelunterricht in der Stuttgarter Hospitalkirche. „Ich war versessen und wollte weitermachen“, erinnert sich die Musikerin.

Hannelore Schäfer wohnt jetzt schon mehr als fünf Jahrzehnte in Nürtingen-Hardt. In jungen Jahren war ihr Leben bedingt durch den Krieg sehr bewegt. Mit ihrer Mutter kam sie als Flüchtling aus Schlesien in die Oberlausitz. Das Mädchen lernte einen jungen Mann aus Oppach kennen, der Kirchenmusik studierte und sie dafür begeisterte. Die Jugendliche besuchte das Internat, mit Kommunismus hatte sie nichts am Hut. Einem von der SED organisierten Aufmarsch blieb sie fern. „Da musste ich die Schule verlassen und konnte kein Abitur machen.“ 1948 kehrten Hannelore Schäfer und ihre Mutter der DDR dann den Rücken und gingen nach Stuttgart.

Von Musiktheorie hatte sie erst keine Ahnung

Die junge Frau wollte Musik studieren, doch zunächst einmal arbeitete sie bei der Oberpostdirektion. Weil sie Hochdeutsch sprach, durfte sie in einem Studio Schallplatten besprechen, mit Konzerthinweisen und dem Wetterbericht zum Beispiel. In der Landeshauptstadt lernte sie ihren Mann Gerhard kennen. Nach der Heirat 1953 bekam das Paar zwei Töchter, und die Familie zog aufs Land, zunächst ins Zabergäu, später dann nach Nürtingen. „Unsere Kinder sollten nicht in der Stadt groß werden“, so Hannelore Schäfer.

Hausfrau und Mutter – das war Hannelore Schäfer in erster Linie. Doch die Kinder wurden größer und selbstständig. Hannelore Schäfer wollte ihre neu gewonnene Zeit sinnvoll gestalten. Sie stellte sich beim Nürtinger Kirchenmusikdirektor Karl Böbel vor, der sie in ihrer Studienabsicht bestärkte. So kam Hannelore Schäfer an die Kirchenmusikhochschule. „Damals war das ein Stück weit der Emanzipationsversuch einer berufslosen Frau“, sagt die Nürtingerin. Von Musiktheorie hatte sie bis dato „keine Ahnung. Es war eine harte Zeit, da musste ich durch, aber ich habe es geschafft.“ Nach bestandener Prüfung spielte Hannelore Schäfer 21 Jahre lang die Orgel in der Neckartailfinger Martinskirche.

Eine Enkelin ist bei „Jugend musiziert“ erfolgreich

Bei der Programmgestaltung ist ihr Mann eine wertvolle Hilfe gewesen. Denn als Leiter des Landeskirchlichen Archivs Stuttgart war der Historiker und Theologe Gerhard Schäfer ein ausgewiesener Fachmann. „Schließlich musste mein Programm ja mit der Liturgie übereinstimmen“, sagt die Nürtingerin.

Die Musik spielt nicht nur im Leben von Hannelore Schäfer, sondern in der ganzen Familie eine zentrale Rolle. „Meine Familie setzt sich fast ausschließlich aus Musikern zusammen“, sagt sie. Ihr Schwiegersohn, Gunter Teuffel, ist Professor an der Stuttgarter Musikhochschule und unterrichtet dort das Fach Viola. Die Tochter Annette Schäfer-Teuffel ist Geigerin, und die Enkelin Clara Emilia Teuffel ist auf dem Violoncello beim Musikpreis „Jugend musiziert“ ausgezeichnet worden.

Jung genug, um auch künftig Orgel zu spielen

Hannelore Schäfer sitzt zu Hause an ihrem Klavier und hat Notenblätter vor sich, die sie einst aus der DDR besorgt hatte, weil es sie hier nicht gab. Etwas zerfleddert sind sie inzwischen, doch dienen sie der Nürtingerin immer noch. Sie liebt Bach, spielt aber auch gerne Werke von Mendelssohn oder moderneren Komponisten, wie Dupré. „Jetzt ist die Freizeit etwas ruhiger für mich“, sagt Hannelore Schäfer und blickt in ihren Garten, um den sie sich immer noch kümmert. Anfragen aus Neckartailfingen sagt sie inzwischen ab. „Nein, jetzt langt’s mir, so jung bin ich ja auch nicht mehr“, erklärt sie. Jung genug, um in der Hardter Friedenskirche weiterhin Orgel zu spielen, fühlt sich die 88-Jahre alte Mutter, Oma und Uroma aber noch. „Wir freuen uns, wenn du noch bleibst“, sagt die Hardter Pfarrerin Sylvia Unzeitig.