Zene aus dem Muaical „Polita“ Foto: Promo

Der polnische Regisseur Janusz Józefowicz hat in Moskau ein Musical über den Stummfilmstar Pola Negri inszeniert. Am 30. Januar kommt das angeblich „erste 3-D-Musical der Welt“ in die Stuttgarter Porsche-Arena.

Man vergesse Vipern, Boas, Königsschlangen: Was dort hinter Pola Negri (Natasza Urbanska) lauert, sich synchron zu den geschmeidig-eleganten Rhythmen ihres Körpers windet und aufbäumt, fauchend in die Menge schnappt und mit einem letzten Zungenzischen samt Aufblitzen der Hackbeilzähne ins Dunkel verschwindet: Das sind Fieberträumen entsprungene Reptilien, gigantisch, furchteinflößend, doch Animationstechnik sei Dank nur Illusion.

Das mittlerweile aus Kinosälen bekannte 3-D-Verfahren erlaubt es Regisseur und Produzent Janusz Józefowicz, die Vita der Stummfilm-Ikone Pola Negri zu einem Spektakel aufzumotzen, das bislang seinesgleichen sucht. Das Musical „Polita“ zeigt Akteure, die auf der Bühne performen und mit aus dem Hintergrund herausragenden Projektionen interagieren. Dieses Verschmelzen von Fiktion erster und zweiter Stufe halten nicht wenige für die Zukunft des Theaters beziehungsweise des Musicals. Im Januar bietet sich erstmals, obgleich auch nur dreimal, auf deutschem Boden die Chance, diesem beizuwohnen: am 30. Januar in der Stuttgarter Porsche-Arena. Im Moskauer Theater der Russischen Armee konnte die Inszenierung begeistern.

Die 1897 als Barbara Apolonia Chałupec geborene Polin Pola Negri avancierte zwischen den Weltkriegen unter der Regie von Ernst Lubitsch zur international renommierten Diva, die schließlich auch in Hollywood auf- und für kurze Zeit auch einschlug. Die Blätter berichteten über Liaisons mit Charlie Chaplin und Rudolph Valentino. Nach der Rückkehr ins deutsche Filmgeschäft entkräftete Hitler persönlich ein von Joseph Goebbels verhängtes Filmverbot, was in der Gerüchteküche manchen Kessel überkochen ließ. Kurz: Es lässt sich was erzählen über diese Frau.

„Polita“ setzt zu Beginn auf furiose Dramatik: Das kleine Mädchen Pola Negri weint um seinen zarenfeindlichen Vater, der durch einen Schneesturm nach Sibirien deportiert wird. Die Windmaschine bläst, die Schneeflocken wehen in die 3-D-Brillen des Publikums, und die Exekutive reitet auf Pferden durchs Geschehen. Der Tiereinsatz geschieht dabei bewusst beiläufig – so nimmt der Betrachter ab und an die Brille von der Nase, um zu überprüfen, ob Hengst und Stute gegenwärtig galoppieren oder nur als Lichtbild wiehern. Er stellt fest: Beides ist der Fall.

Józefowicz verfeuert früh sein vortrefflichstes Effektpulver – gewagt, denn das Folgende könnte somit leicht anöden. Gut für ihn, mit seiner Gattin und Hauptdarstellerin Urbanska ein risikodämmendes Ass zu halten. Mühelos reißt sie die Inszenierung an sich, trifft Töne und überzeugt speziell mit tänzerischem Können und katzengleicher Körperbeherrschung. Ob ihre Pola Negri stierkampfartig mit Rudolph Valentino turtelt oder beim Song „Adrenalina“ vom aus dem Off hämmernden Herzen über die Bretter gejagt wird: Als Avantgardistin unter den Darstellern, die live mit der für sie nicht sichtbaren Kulisse spielen müssen, legt sie die Latte hoch. „Der Zuschauer sieht eine ganze Welt – ich sehe nichts außer dem Sternenmeer aus reflektierenden 3-D-Brillen“, beschreibt Urbanska die Herausforderung.

Neben dem omnipräsenten, wohlduftenden Zigarrenqualm Lubitschs und ein paar spürbar realen Wasserspritzern sollen Oldtimer und ein von der Decke baumelnder Doppeldecker samt Propeller die Massen begeistern. Gerade bei der Fliegerei unterm Theaterdach besticht die Tiefenwirkung, hier vereinigt sich das greifbare Flugzeug mit den filmischen Hügeln. Mittels Seilkonstruktion in Richtung Publikum und schließlich darüber hinwegfliegende Artisten treibt man das Spiel mit der 3-D-Kunst auf die Spitze.

Neben Swing und Jazz mischen die Songs des Ensembles dem musicalüblichen Klangteppich auch polnische Folklore bei. Wenn man Szenemaßstäbe anlegt, hält sich der Kitsch wirbelnden Showgirls und trällernden Boulevardjournalisten zum Trotz in erträglichen Grenzen. Freilich darf keine biografische Geschichtsstunde erwartet werden – im Fokus stehen die Show, die besondere Anwendung der Technik, die großartige Urbanska.

Sicher: Der sich gerade aus der Hocke lösende Sprung zum 3-D-Theater lässt sich nicht mit jenem Satz vergleichen, der Pola Negris Karriere schädigte – als es im Film bald auch um Fonetik ging. Dies birgt Ironie: Ein Stummfilmstar weist der Bühne den Weg in die Zukunft. „Polita“ überschreitet und verschiebt somit die bisherige Grenze der Präsentationsform. Laut Józefowicz äußern Broadway und Konsorten Interesse an den Möglichkeiten, an die sich dieses Musical erstmals herantastet. Es scheint schier gewiss: Dieses Spiel mit der Technik wird noch gewaltige Dimensionen annehmen.

„Polita“ von Janusz Józefowicz und Janusz Stoklosa (Musik) schildert das Leben von Pola Negri und will mithilfe der 3D-Technik das Musical revolutionieren. Für die Vorstellung am 30. Januar um 20 Uhr in der Stuttgarter Porschearena gibt es Karten unter Tel. 0 18 06 / 57 00 70 oder unter www.eventim.de.

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