Szene aus "Rebecca". Foto: Torsten Rothe

"Rebecca" würde eher als Oper denn als Musical funktionieren, meint unsere Kritikerin.

Stuttgart - Daphne du Maurier schrieb 1938 den Roman "Rebecca", Alfred Hitchcock machte 1940 einen Film daraus, 2006 hatte "Rebecca" als Musical in Wien Premiere. Jetzt tritt das Stück in Stuttgart die Nachfolge von "Tanz der Vampire" an.

Schon am Anfang ist alles anders. Filmszenen zeigen Wolken, Felsen, Meer. Dann steht auf der Bühne eine kleine, zarte Frau. "Ich hab' geträumt von Manderley" singt Lucy Scherer - und auch wenn später das Ensemble den ersten der beiden Ohrwürmer des Abends mitsingt, wirkt das neue Musical im Palladium-Theater doch, als habe man die Gattung hier geschrumpft und in Watte gepackt: "Rebecca", uraufgeführt 2006 in Wien, bietet bei seiner deutschen Erstaufführung in Stuttgart den denkbar größten Kontrast zu den opulenten Ausstattungsspektakeln und den fröhlich-beliebigen Schlager-Bilderbögen, die zuletzt das Gesicht der Gattung prägten.

Das Musical hat mit subtilen Tönen ein Problem

Diese Qualität muss man schätzen: "Rebecca" erzählt wieder einmal eine richtige, nicht ganz bruchlose und ganz und gar nicht kitschfreie, aber doch bis zuletzt spannende Geschichte. Ein Mädchen heiratet einen Adligen, dessen erste Frau unter ungeklärten Umständen ums Leben kam; gemeinsam müssen beide erst mit der Vergangenheit fertig werden, bis ihre Liebe wirklich glücklich werden kann. Zu überwinden sind dunkle Ereignisse, eine zwielichtige Haushälterin und ein verwinkeltes Geflecht kriminalistischer Erkundigungen.

Mit gutem Grund wurde Alfred Hitchcocks Verfilmung von Daphne du Mauriers Erfolgsroman zum ersten großen Hollywood-Hit des "Master of Suspense": Wo sich die Sprache des Romans in dunklen Andeutungen ergeht, wehen bei Hitchcock Vorhänge im Wind, tasten Lichtstrahlen über das nasse Grab der ersten Lady de Winter, blicken Augen ins Leere.

Eine Oper hätte die subtilen Bildzeichen von "Rebecca" vielleicht übersetzen können. Das Musical hingegen hat mit dem intimen Psychothriller, mit dem Kriminalkammerspiel in "Rebecca" ein Problem. Die feinen Nuancen von Angst und Grauen, die Zwischentöne des Unheimlichen finden in einer Gattung, die für große Gefühle und plakative Gesten ausgestattet ist, kein Zuhause. Michael Kunzes Libretto müht sich redlich und ausgesprochen textreich um Detailreichtum, kommt aber zumal in den Dialogen über Plattitüden, Holprigkeiten und Gemeinplätze nicht hinaus. Auch mit dem Missverhältnis zwischen Dialogreichtum und Handlungsarmut kommt es nicht zurecht. Sylvester Levays Musik ist ebenfalls kein Musterbeispiel für Differenziertheit - selbst wenn sie zwischen Eingängigem in sattem Streichersound immer wieder raffiniert mit wechselnden Rhythmen und Zeitmaßen spielt. Dafür bleibt der Traum von Manderley, der im letzten Bild wiederkehrt, ebenso im Ohr wie das prägnante Rebecca-Motiv.

Feine Einarbeitung von Filmeinspielungen ins Bühnenbild

Dass dieses Motiv immer wieder gesungen und vom prächtig aufgelegten Orchester unter Klaus Wilhelms Leitung immer wieder auch gespielt wird, spricht für sich: "Rebecca" ist das wohl einzige Musical, das eine Frau im Titel trägt, die es gar nicht mehr gibt - ein absurdes Phänomen, das ein wenig an die Oper "Die Stumme von Portici" erinnert, deren Titelheldin ja gerade nicht singen kann. Der Gedanke, dass sich ein Musical mit einer nicht mehr existenten Titelfigur womöglich selbst für überflüssig erklärt, mag überdreht erscheinen, hat aber auch etwas Treffendes.

Allerdings könnten wir, wenn es "Rebecca" nicht gäbe, die beiden ausdrucksstarken Darstellerinnen nicht erleben, die das Stück neben Thomas Borchert als Maxim de Winter maßgeblich prägen: Lucy Scherer singt die naive, dann spürbar reifende junge Gattin mit Kunst und Hingabe, und mit Pia Douwes gewinnt die Haushälterin Mrs. Danvers wahrhaft dämonische Dimensionen.

Gäbe es "Rebecca" nicht, so wären wir außerdem nicht der überdrehten Amerikanerin Mrs. van Hopper (Isabel Dörfler) begegnet und dem sympathischen Dorfdeppen Ben (Daniele Nonnis). Wir hätten dann die feine Einarbeitung von Filmeinspielungen ins Bühnenbild ebenso wenig erlebt wie die vielen fantasievoll gearbeiteten Kulissen. Die Ausstattung des Stücks macht locker den Mangel an großen Ensembleszenen wett, der diesem Musical handlungsbedingt anhaftet. Auch den eindrucksvollen Triumph der Pyrotechnik mitsamt der riesigen brennenden Schlosstreppe am Ende hätten wir schließlich nicht missen wollen. Nun wohnt das junge Glück in einem "kleinen Hotel mit Blick zum Mittelmeer". Falls es ein Fenster zum Hof hat, fiele uns glatt eine neue Musical-Geschichte ein, die auch nicht funktioniert.