Jeanna de Waals spielt in „Diana: The Musical“ die Prinzessin von Wales. Foto: Diana: The Musical/Netflix

Eigentlich hätte „Diana: The Musical“ schon 2020 Broadway-Premiere gefeiert, doch Corona kam dazwischen. Jetzt gibt es das Singspiel über die Prinzessin von Wales auf Netflix. Oh, wäre es doch im Giftschrank geblieben.

Stuttgart - Schwer zu sagen, was das Schlimmste ist an „Diana: The Musical“. Jeanna de Waals treuherzig-muntere, mit „Mädchen von nebenan“-Patentheit ausgestattete Diana, die so komplett am komplizierten Charakter der echten Prinzessin von Wales vorbeigeht? Oder doch die Dialoge und Liedzeilen, für die das Wort „Cringe“ (ins Deutsche nur unzulänglich mit „Fremdscham“ zu übersetzen) mutmaßlich erfunden wurde?

Ursprünglich sollte das Musikbühnenstück über die 1997 verstorbene „Königin der Herzen“ bereits vergangenes Jahr am New Yorker Broadway Premiere feiern. Aber die Coronapandemie und der Lockdown am Big Apple verhinderten die Aufführung. Fast will man sagen: Zum Glück. Doch jetzt gibt es kein Entrinnen mehr: Im November kommt das Musical auf die Bühne, seit dem 1. Oktober kann man sich einen Mitschnitt auf dem Streamingdienst Netflix ansehen.

Dianas Leben lässt sich schlecht in schmissige Showtunes pressen

Wo anfangen? Vielleicht hätte man den Machern um Texter Joe DiPietro und Komponist und Bon-Jovi-Keyborder David Bryan sagen müssen, dass Themen wie postnatale Depression, Selbstverletzung und Essstörungen in der Kunstform Musical kaum so behandelt werden können, dass man nicht auf extrem rutschiges Terrain gerät? Die Komplexität, der Triumph und die Tragik des Lebens der Diana Spencer lassen sich nun mal schlecht zwischen bunte Kulissen und schmissige Showtunes pressen.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Prinzessin Diana – Kleider, die Modehistorie schrieben

Man kann DiPietro und Bryan aber nicht vorwerfen, dass sie es nicht versuchen. Die knapp zwei Stunden gleichen einem Parforceritt durch Dianas Leben – auf einem durchgedrehten Zirkuspony, ohne Sattel, dafür im Stehen. Alles wird gestreift: Das Buch von Andrew Morton, für das Diana heimlich Stichwörter lieferte. Die Prinzessin bei den Patienten auf der Aids-Station eines Krankenhauses. Der angebliche Showdown zwischen Diana und der Geliebten ihres Mannes, Camilla Parker Bowles, im Jahr 1989 – von den Musicalmachern auf den fragwürdigen Reim „Thrilla in Manila between Diana and Camilla“ gebracht.

Camilla Parker Bowles – Intrigantin in Tweed

Überhaupt Camilla: Erin Davie macht aus Charles’ heutiger Ehefrau und Herzogin von Cornwall eine Intrigantin in Tweed, eine Bühnenschuftin, die Cruella de Vil wie eine sanftmütige Dalamtinerschützerin wirken lässt. Roe Hartrampf ist als Prinz Charles so blutleer, dass das Original im Vergleich wie ein Feuerwerk an Charisma und Charme daherkommt. Ganz daneben liegt aber vor allem Judy Kaye als Elizabeth II., die ihre matronenhafte Queen irgendwo zwischen „Denver Clan“ und „Dallas“ ansiedelt – und damit ziemlich weit weg von Sandrigham und Windsor.

Welche Funktion Dianas Stiefgroßmutter, die Schnulzenautorin Barbara Cartland (Dis Vater Earl Spencer war in zweiter Ehe mit deren Tochter Raine verheiratet), als psychedelischer Albtraum in Pink in der Inszenierung erfüllt, bleibt dem Zuschauer bis zum Ende ein Mysterium.

„Reim dich oder ich fress dich“ in Perfektion

Womöglich den Tiefpunkt hat das Musical erreicht, wenn James Hewitt, Reitlehrer und Geliebter, mit nacktem Oberkörper, dafür mit Reithose und -stiefeln durch ein Loch im Bühnenboden nach oben fährt und ein anzügliches Liedchen trällert.

Vielleicht ist das größte Übel aber doch so manche Liedzeile. Kleine Kostprobe gefällig? „Darling, I’m holding your son / so let me say jolly well done“ („Liebling, ich halte unseren Sohn / und muss sagen: Gut gemacht!“) Oder: „Stop being a martyr / why can’t you bei smarter?“ („Hör auf, eine Märtyrerin zu sein / Warum kannst du nicht klüger sein?“). Schon genug? Einer geht noch: „Harry, my ginger-haired son / you’ll always be second to none“ („Harry, mein rothaariger Junge / du wirst immer unübertroffen sein“). „Reim dich oder ich fress dich“ in Perfektion.

Amerikanische Zeitungen gaben „Diana: The Musical“ vernichtende Ein-Stern-Kritiken, britische Medien schwanken zwischen Sarkasmus und Entsetzen. Schon werden Forderungen laut, Dianas Sohn Prinz Harry solle die Zusammenarbeit mit dem Streamingdienst Netflix aus Protest beenden.

An einen haben sich die Musicalmacher übrigens nicht herangetraut: Prinz Philip kommt im Diana-Musical nicht vor. Schade, dass der im Frühjahr verstorbene Ehemann der Queen nicht mehr unter uns weilt: Man wüsste zu gern, was der Herzog mit der berüchtigten spitzen Zunge zu dem Broadwaystück gesagt hätte.