Das Museum der Alltagskultur in Waldenbuch plant eine Pop-Up-Ausstellung zum Leben in der Nachbarschaft des Kernkraftwerks Neckarwestheim. Im Mai 2025 soll die Schau an einem Ort zu sehen sein, der noch ausgehandelt werden müsse.
Ein paar Ausstellungsstücke gibt es schon, zum Beispiel die beigen Handschuhe und die Überzieher, die Schuhe der Größe 46 bedecken können. „Schutzkleidung gegen radioaktive Strahlung kann auch anders eingesetzt werden – für Malerarbeiten beispielsweise“, steht auf der eigens eingerichteten Website, sobald man auf die museal präsentierten Textilien klickt. Die unbenutzte Kleidung sei „nach Vorführzwecken bei einer Ausbildungseinheit in den Privathaushalt eines ehemaligen Mitarbeiters des Kernkraftwerks“ gelangt.
Die Rede ist vom Kernkraftwerk Neckarwestheim, das zum Zeitpunkt seiner Abschaltung am 15. April 2023 das letzte noch in Betrieb befindliche Atomkraftwerk Deutschlands war. Das Museum der Alltagskultur in Waldenbuch nähert sich der auch Gemeinschaftskernkraftwerk Neckar (GKN) genannten Anlage mittels eines „Kerngeschichten“ betitelten Pop-Up-Museums-Projekts: Im Mai 2025 sollen Erinnerungen an das Leben in der Nachbarschaft des Kernkraftwerks auch außerhalb des Internets einen Monat lang ausgestellt werden: Wo genau das Kurzzeitmuseum seinen Platz findet „ist noch offen und Teil des Aushandlungsprozesses mit den Menschen vor Ort“, heißt es in einer Mitteilung des Landesmuseums Württemberg.
Migrationsgeschichten wegen des Kraftwerkes
Es werde wohl auf einen Raum in einer der drei Nachbargemeinden des mittlerweile im Rückbau befindlichen Kernkraftwerkes hinauslaufen, sagt Alexander Schwanebeck vom Museum der Alltagskultur – Neckarwestheim, Gemmrigheim oder Kirchheim am Neckar jenseits des Flusses. Gemeinsam mit einem Team konfrontiert er seit April Anwohner mit ihrem nuklearen Nachbarn – etwa mithilfe eines Marktstandes, der eine blaue Schautafel mit weißen Punkten beherbergt. Darauf steht: „Vermissen Sie die Wolke?“
Die Reaktionen darauf seien sehr unterschiedlich, sagt Alexander Schwanebeck. Menschen, die Jahrzehnte lang gegen Atomkraft demonstriert hätten, würden sich ebenso äußern wie jene, die die Aufgabe der Technologie bedauern. Interessante Migrationsgeschichten bekomme er an seinem Marktstand zu hören, so Schwanebeck – beispielsweise von Familien, die wegziehen mussten, als das Kraftwerk in den 1970er Jahren gebaut wurde. Oder von Fachkräften, die einst der Hoffnung einer besseren Zukunft im Atomkraftwerk wegen vom Osten Deutschlands in den Südwesten gezogen sind. „Es wäre schade, wenn diese Leute nicht reagieren würden“, sagt Schwanebeck.
Bohrkerne als Buchstützen
Idealerweise befüllen sie dabei die Plastik-Sammelboxen, die das Museum der Alltagskultur den Anwohnern zur Verfügung stellt, mit Erinnerungen. Auf der Website des Pop-Up-Museums sind außer der Schutzkleidung auch schon ein paar andere zu sehen: Jemand hat ein Fossil aus dem ehemaligen Steinbruch aufgesammelt, auf dem das Kernkraftwerk errichtet wurde. Ein anderer hat Bohrkerne von einer Baustelle des Kraftwerks zu Hause als Buchstützen im privaten Bücherregal zweckentfremdet. Sobald die Ausstellung im kommenden Jahr nach einem Monat vorbei ist, erhielten die Leihgeber ihre Erinnerungsstücke zurück, versichert Alexander Schwanebeck.
Aber zunächst wird gesammelt, zum Beispiel an einem Stand beim Gemmrigheimer Herbst am 8. September, oder bei einem sogenannten Erzählcafé mit den Bürgermeistern von Gemmrigheim und Neckarwestheim am 22. Oktober. Auch ein „Zukunftsworkshop“ mit Jugendlichen aus der Region sei geplant, denn die „Kerngeschichten“ wollten den Blick der Museumsbesucher nicht nur in die Vergangenheit lenken, sondern auch nach vorne, sagt Schwanebeck. Das gelte insbesondere für die Neckarwestheimer selbst: „Man versteht sich dort als Ort dieses Kraftwerkes – aber auch als weit mehr als das.“
Weitere Informationen online unter: www.alltagskultur.info/popup