Nach 15 Jahren an der Spitze des Landesmuseums Württemberg wird Cornelia Ewigleben mit einem Festakt in den Ruhestand verabschiedet. Im Abschiedsgespräch verneigt sie sich vor Stuttgart, thematisiert allerdings auch kritische Punkte.
Stuttgart - Am 2. März wird Cornelia Ewigleben nach 15 Jahren an der Spitze des Landesmuseums Württemberg in den Ruhestand verabschiedet – Astrid Pellenghar folgt ihr nach. Im Interview charakterisiert die gebürtige Niedersächsin ihre Zeit in Stuttgart und die Stadt selbst.
Frau Ewigleben, Sie sind eine weit gereiste Taucherin. Mit welchen Eindrücken kehren Sie von ihren Unternehmungen zurück?
Ich sehe, wie schön die Erde ist und ihre Meere. Aber leider auch, wie verschmutzt die Ozeane sind, selbst in entlegenen Regionen.
Wie gehen Sie damit um?
Ich komme gerade aus Raja Ampat (West-Papua, Indonesien). Dort habe ich Plastikmüll, der im Wasser an mir vorbeigeschwommen ist, gesammelt. Hier zu Hause versuche ich, meinen kleinen Beitrag zu leisten. Ich habe schon lange kein Auto mehr, fahre viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln und meinem Fahrrad, stelle aber auch fest, wie schwer es vielen Menschen fällt, ihre Gewohnheiten zu ändern. Das zeigt sich etwa an der Diskussion um Parkplätze in der Stuttgarter Innenstadt. Zurückzuschrauben, Bequemlichkeiten aufzugeben, ist offenbar für viele eine Herausforderung.
Sehen Sie keinen Fortschritt in der Geschichte?
Bestimmte Mechanismen scheinen konstant zu sein, etwa sich über andere Menschen zu erheben. Früher ging’s viel um Repräsentation, heute geht’s vor allem um Geld und Profit. Ein Phänomen, das sich seit der Antike nicht verändert zu haben scheint, ist auf andere Menschen, Gruppen oder Bevölkerungen herabzuschauen. So haben zum Beispiel unsere württembergischen Herzöge Menschen aus anderen Kontinenten nach Stuttgart geholt, um sie hier vorzuführen.
Welche Entwicklungen stimmen Sie positiv?
Ich bin kein Pessimist. Der Mensch hat auch sehr viel Positives geschaffen. Ich habe bewusst Klassische Archäologie studiert, weil ich fasziniert von dem bin, was im antiken Griechenland und Rom entstanden ist – das Fundament unseres Abendlandes, Grundlagen der Philosophie, Politik und vieles mehr. Manche Diskussionen dieser Zeit sind heute wieder brandaktuell. Etwa die Frage der Bürgerbeteiligung. Mein aktueller Eindruck ist, dass sich derzeit einige Politiker gar nicht mehr trauen, ihr Mandat vollumfänglich wahrzunehmen.
Auch in Stuttgart?
Durch die Diskussionen um Stuttgart 21 haben sich bestimmte Verhärtungen eingestellt. Ein Ausdruck dafür ist der Begriff „Wutbürger“, der im Zuge der Auseinandersetzungen um 2010 entstanden ist. Anstelle von ergebnisoffenen Gesprächen zeigen sich ein Beharren auf eigenen Positionen und ein gewisses Schubladen-Denken. Ich habe manchmal den Eindruck, dass dieser Zustand auch heute noch nicht überwunden ist.
Hat as auch mit Mentalitäten zu tun?
Ich nehme Stuttgart als eine Bürgerstadt wahr – ähnlich wie Hamburg. Durch die Erstarkung des Bürgertums im 19. Jahrhundert gibt es hier seit Langem eine selbstbewusste Bürgerschaft, und das ist sehr gut so. Wichtig ist nur, dass man im Diskurs offenbleibt.
Nach 15 Jahre Stuttgart-Erfahrung – wie ist Ihr Stuttgart-Bild heute?
Ich finde Stuttgart ganz großartig. Es ist wunderbar, dass man vom Zentrum aus alles Wichtige fußläufig erreichen kann. Stuttgart ist meine neue Heimat geworden, die ich sehr schätze. Die Stadt hat nichts Hektisches, und das kulturelle Interesse vieler Menschen ist außergewöhnlich groß. Man interessiert sich für seine Geschichte, ist stolz auf seine Könige und Herzöge.
Kennen wir denn unsere Geschichte?
Durchaus. Bei einer Ausstellung über Herzog Christoph hatten wir in der Beschriftung eine Person verwechselt. Sofort kam von mehreren Besuchern der Hinweis auf diesen Fehler. Das gibt es anderswo selten. Ich finde das extrem sympathisch und wohltuend. Unsere Aufgabe als Museum ist es, dieses Geschichtsbewusstsein an die nächsten Generationen weiterzutragen. Dem dient das 2010 eröffnete und sehr erfolgreiche Kindermuseum und aktuell die Umgestaltung unseres Foyers, der Dürnitz. Im Alten Schloss entsteht mit der Kulturlobby ein Museum mit einem Open Space, also einer Lounge, in der jeder ein- und ausgehen und sich kostenfrei aufhalten kann.
Ist gratis die Zukunft?
Das hoffe ich sehr. Was den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt und des Landes gehört, sollte frei zugänglich sein: das Kunstmuseum, das Stadtpalais, die Landesmuseen. Wir alle zahlen Steuern für deren Betrieb, deshalb müsste der Besuch der Schausammlungen, anders als der Besuch der Sonderausstellungen, kostenfrei sein. Dass dies allein nicht reicht, um mehr jüngere Leute fürs Museum zu interessieren, ist natürlich klar.
Wie stark sehen Sie da die Schulen gefordert?
Sehr stark. In den Bildungsplänen werden heute primär Kompetenzen vermittelt. Das reicht aber nicht. Man braucht auch ein Wissensfundament. Wenn ich in die Welt hinausgehe, möchte ich gerne sagen, ich bin Baden-Württemberger, Schwabe oder Badener und etwas darüber erzählen können.
Oder Lieder von hier singen . . . ?
Auch das. Ein Beispiel: 1989 war ich mit russischen und ukrainischen Kollegen bei einer archäologischen Grabung auf der Krim. Abends saß man zusammen, die dortigen Archäologen begannen zu singen. Wir, eine kleine deutsche Gruppe, wurde gebeten, ebenfalls etwas Landestypisches beizutragen. Das konnten wir nicht, was eine gewisse Verständnislosigkeit hervorrief.
Mehr Regionalgeschichte in den Schulen?
Unbedingt! Zukunft braucht Herkunft. Man braucht eine Basis zur Verortung, auf die man aufbauen kann. In unserem heutigen globalen Zeitalter suchen viele Menschen nach Selbstvergewisserung. Das ist im Zweifelsfall der Ort, aus dem ich komme mit seiner einzigartigen Geschichte. In Stuttgart zu leben und nicht zu wissen, warum bestimmte markante Gebäude, wie das Alte und das Neue Schloss, hier stehen, bedeutet in gewisser Weise, heimatlos zu sein.
Ist das ein Rückzug in die Enge?
Nein, es ist die Grundlage für Weite und vernetztes Denken und Handeln. Als kulturhistorisches Museum haben wir uns bisher vergeblich dafür verkämpft, dass in den schulischen Bildungsstandards nicht nur das antike Griechenland und Rom gestreift werden, sondern auch die hiesige Geschichte, etwa die Zivilisation der Kelten. Das fehlt und bedeutet, dass Schulklassen der höheren Altersstufen nur noch selten ins Museum kommen. Die Schülerinnen und Schüler haben keine Möglichkeit mehr, die großen Linien der regionalen Geschichte kennenzulernen.
Mit welchen Gefühlen scheiden Sie aus?
Das Landesmuseum Württemberg ist ein großartiges Museum mit einer herausragenden Sammlung zur Geschichte des Landes im Herzen Stuttgarts, getragen von einem tollen Team und einer engagierten Gesellschaft. Es war ein Privileg, hier zu arbeiten. Ich gehe mit Wehmut und mit vielen schönen Erinnerungen aus 15 Jahren.
Worauf freuen Sie sich?
Dass ich wieder Herrin meiner Zeit bin.