Yoko Ono Eye Blink, 1966 16mm-Film transferiert auf DVD (Standbild) Foto: Yoko Ono/ Mumok Wien

Eine Frau drückt sich an eine Wand, sie ist nackt, sie zittert, sie wird mit roter Farbe beworfen, sie ringt nach Atem. An einer anderen Wand, in Schwarz und Weiß, der Schriftzug „Love“. Zwei Welten? Pop-Art und Wiener Aktionismus sind Kinder derselben Zeit. Das Mumok in Wien zeigt sie nun parallel.

Wien - Beide Kunstrichtungen – Pop und Aktionismus – gehörten zu den Schwerpunkten der Sammlung des Ehepaares Irene und Peter Ludwig. Das Mumok, dem das Ehepaar große Teile seiner Sammlung überließ, präsentierte sie in der Vergangenheit bereits mehrfach.

Die beiden Ausstellungen „Ludwig goes Pop“ und „Mein Körper ist das Ereignis“ jedoch gehen neue Wege: Die eine versammelt erstmals sämtliche Werke der Pop-Art in der weit verstreuten Sammlung Ludwig an einem Ort, die andere fügt den Wiener Aktionismus ein in den Kontext der internationalen Performancekunst der 1960er Jahre.

Konsum und Alltagswelt neben Abkehr vom Individuellen

Die Strategien der Pop-Art – Entdeckung von Konsum und Alltagswelt, mechanische Verfahren, die Abkehr vom Individuellen – wurden sehr schnell von der Provokation zur Postkarte. Dem Wiener Aktionismus wird es sicher niemals so ergehen – er bleibt verstörend, dunkel, manchmal fragwürdig. „Die Ausstellung zeigt Arbeiten, die körperliche Grenzen ausloten und gesellschaftliche Tabus überschreiten“, warnt im Mumok, erfolgreich geleitet von Karola Kraus (aus der Sammlerfamilie Grässlin aus St. Georgen im Schwarzwald), ein Schild vor den Räumen der Aktionisten. Ob man seine Kinder mit in sie nehmen wolle, solle man sich überlegen.

Tatsächlich können die Filme von Günter Brus, Otto Muehl, Rudolf Schwarzkogler und Hermann Nitsch für den Betrachter auch heute noch zur Zumutung werden – selbst in einer Ausstellung wie dieser, die die Nähe des Aktionismus zu Malerei und Skulptur betont, ihn manchmal fast abstrakt auftreten lässt. Das geschieht eindrucksvoll in einem Raum, den zahlreiche frei aufgehängte, beidseitig bespielte Projektionsflächen füllen. Zu sehen ist Bekanntes, Berüchtigtes: nackte Körper, die sich übereinanderwerfen, Gesichter und Gliedmaßen, durch Fesseln deformiert, Blut und Exkremente, Schreie, Selbstverletzungen.

Joseph Beuys, der ein Klavier zertrümmert

Brücken schlägt die Schau zuerst zur Wiener Gruppe und zum Fluxus: Fotodokumente zeigen Peter Weibel, der mit zeitungsverklebten Augen auf der Schreibmaschine tippt, Friedrich Achleitner, der Bier trinkt, Joseph Beuys, der ein Klavier zertrümmert. Ein Raum voller Monitore schließlich überführt den Aktionismus in die internationale Performance: Nam June Paik und Paul McCarthy, Bruce Nauman, Marina Abramovic, Valie Export und Yoko Ono gesellen sich zu den Wienern. Hier nun auch, immer wieder: der einfache körperliche Ausdruck, die Studie, der genaue Blick, der auf das antibürgerliche Spektakel verzichtet.

Die Ausstellung wird so zu einem Panorama inszenierter Körperlichkeit in den 1960er und frühen 1970er Jahren. Skizziert sie den Wiener Aktionismus als Keimzelle der Performance? Das bleibt unklar. Aber zumindest löst sie ihn aus einer isolierten Betrachtung und lädt zu seiner Neubewertung ein: In einer Zeit, die sich von vielen Tabus verabschiedet hat, haben diese Arbeiten ihre Wirkung nicht verloren, sind es andere Fragen, die sie stellen.

Sexualität, Körperlichkeit, Gewalt

Der Schritt ins Reich der Pop-Art führt nur vermeintlich fort vom Dunkel: Auch in ihr spielen Sexualität, Körperlichkeit, Gewalt ihre Rolle – nicht archaisch wie bei den Aktionisten freilich. Claes Oldenburg porträtierte die Verwahrlosten der Lower East Side und sammelte Waffen: Jedes rechtwinklige Element konnte bei ihm zur „Ray Gun“ werden, mit der er sich der Realität erwehren und sie mit Halluzinationen bevölkern wollte. Oldenburgs „Ray Gun Wing“ und sein „Mouse Museum“ gehören neben Warhols „Orange Car Crash“ zu den Höhepunkten der Sammlung Ludwig.

Auf den vier Stockwerken der Schau finden sich, großzügig präsentiert, Werke von Warhol und Oldenburg, von Roy Lichtenstein, Robert Indiana, Richard Hamilton, Peter Blake und David Hockney, Jim Dine, James Rosenquist, Jasper Johns und Robert Rauschenberg – die Pop-Art im Spektrum aller ihrer Spielarten. Eine Sammlung von Schallplattencovern vervollständigt das Bild: Da ist Peter Blakes Arbeit für das Beatles-Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, da ist die Persiflage dieser Arbeit, die Cal Schenkel für Frank Zappa schuf, da sind zahlreiche weitere Beispiele für die Pop-Art in der Pop-Musik.

Aber auch Robert Rauschenberg malte mit Körpern, auch Andy Warhol drehte in seiner Factory Filme – und die Performance verdankt der Pop-Art gewiss nicht weniger als dem Wiener Aktionismus. Diesen Faden zu knüpfen bleibt jedoch Sache der Besucher.

„Mein Körper ist das Ereignis: Wiener Aktionismus und internationale Performance“ ist noch bis zum 23. August zu sehen, „Ludwig goes Pop“ endet am 13. September. Mehr: www.mumok.at