Zeit, beim Thema Strukturen der Landes-IT einiges anzupacken: Innen- und Digitalisierungsminister Thomas Strobl. Foto: dpa

Die millionenschwere Bildungsplattform „ella“ ist ein Desaster. Das bringt den zuständigen Minister Thomas Strobl (CDU) in Erklärungsnot. Bei der Aufarbeitung und den Schlussfolgerungen sollte er mutig sein, kommentiert unser Autor Nils Mayer.

Stuttgart - Baden-Württemberg auf dem Weg zur digitalen Vorreiterregion? Das hätte man meinen können, als Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Innenminister Thomas Strobl (CDU) am vergangenen Dienstag erste Ergebnisse der Digitalisierungsstrategie des Landes vorstellten. Sie berichteten von Fortschritten beim Breitbandausbau, einem neuen Innovationscampus Cyber Valley für die Erforschung von künstlicher Intelligenz und neuen, bürgernahen Angeboten der Telemedizin.

Wenn da nur nicht die Bildungsplattform „ella“ für Lehrer und Schüler wäre, die Ex-Kultusminister Andreas Stoch (SPD) initiiert hatte und bei deren Entwicklung es gewaltig hakt.

Eisenmann in der Zwickmühle

Bereits im Februar musste Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) den Pilotversuch mit 100 Schulen wegen technischer Probleme kurzfristig absagen. Ein weiser Schritt, denn ein damals von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten offenbart jetzt: Das Leuchtturmprojekt ist ein Desaster. Die Plattform ist nicht einsatzbereit, es gibt massive Mängel. Für den landeseigenen IT-Dienstleister BITBW und den kommunalen Subunternehmer, unter deren Verantwortung das Projekt entwickelt wurde, ist das ein Armutszeugnis.

Eisenmann hat zwei Optionen: den bestehenden Murks so weiterentwickeln zu lassen, dass er doch noch funktioniert, oder die bislang investierten 8,7 Millionen Euro Steuergelder verloren zu geben und die Plattform neu auszuschreiben. Eine Zwickmühle. Ersteres bedeutet enormes Risiko, Zweiteres eine kaum vertretbare Wartezeit für die Schulen.

Was macht eigentlich Krebs?

Doch die Zukunft von „ella“ ist nur das eine. Die organisatorischen Probleme in der Landes-IT sind das andere. Sie führen ins Chaos und bringen den dafür zuständigen Minister Strobl und seinen IT-Chef des Landes, Stefan Krebs, jetzt in Erklärungsnot. Laut Angaben seines Ressorts soll Krebs die IT-Strategie der Landesverwaltung entwickeln und steuern. Nun mag es sein, dass er sich da nicht mit allen Einzelheiten befassen kann. Aber der als Cybersicherheitsexperte geltende Krebs hat die Aufsicht über BITBW.

Dass er dann bei einem Prestige-Projekt wie „ella“ nicht einmal über die Probleme im Bilde ist, geschweige denn nach deren Bekanntwerden Lösungswege aufzeigen kann, spricht für sich. Im Bildungsausschuss sagte er, man müsse gemeinsam schlauer werden. Wohlgemerkt als Aufseher. Da stellt sich schon die Frage: Was qualifiziert ihn für diese Position?

Angesichts weiterer Missstände bei Software für die digitale Verwaltung muss die Landesregierung dringend beraten, ob es tatsächlich erstrebenswert ist, ambitionierte Projekte für mehrere Millionen Euro über die BITBW und/oder kommunale Subunternehmer zu vergeben. Der Fall „ella“ legt jedenfalls nahe, dass diese damit überfordert sind.

Digitalisierungsminister muss reagieren

So stellen sich viele Fragen: Wie verhindert die Landesregierung, dass künftig erhebliche Verzögerungen auftreten, unzureichende Ergebnisse geliefert und weitere Steuermillionen versenkt werden? Sind die aktuellen Strukturen und Rahmenbedingungen geeignet, um junge, fortschrittliche IT-Spezialisten zu gewinnen und ambitionierte Vorhaben selbst zu entwickeln? Oder ist es mit Blick auf Tempo und Qualität nicht sogar sinnvoller und günstiger, existierende Produkte einzukaufen oder vertrauenswürdige Unternehmen mit Erfahrung zu beauftragen?

Für die Antwort braucht es echte und unabhängige Expertise. Neue Strukturen und personelle Konsequenzen dürfen kein Tabu sein. Doch dazu braucht es Mut – allen voran vom Digitalisierungsminister.

nils.mayer@stuttgarter-nachrichten.de