Aktuell tagt in Stuttgart der Jahreskongresses der Deutschen Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen in Stuttgart. Wichtigstes Thema sind für Kongress-Präsident Dieter Weingart vom Klinikum Stuttgart technische Innovationen, die er seinen Patienten zur Verfügung stellen will.
Stuttgart - Herr Professor Weingart, als Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg sind Sie maßgeblich für das Aussehen eines Patienten zuständig. Was bedeutet es für die Betroffenen, wenn Sie ihnen helfen können?
Das Gesicht ist das Zentrum der Kommunikation. Das ist bei unserem Fachgebiet das Spannende: Wenn wir beispielsweise Kindern mit einer Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalte oder Menschen nach einem Unfall helfen können, das bedeutet Lebensqualität pur für die Leute. Denn sonst ziehen sie sich oft zurück und verkümmern sozial.
Der Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG- Chirurgie) findet erstmals unter Ihrer Leitung in Stuttgart statt.
Es ein Privileg, das ausrichten zu dürfen. Normalerweise machen das eher die Universitätskliniken. Dass der Kongress hier veranstaltet wird zeigt, dass wir auch aus medizinischer Sicht ein guter Standort sind.
Welche thematischen Schwerpunkte haben Sie für den Kongress gewählt?
Ein Schwerpunkt liegt bei der operativen Behandlung von Kieferfehlstellungen, der sogenannten orthognaten Chirurgie. Die Patienten können in der Regel nicht richtig kauen und sprechen. Vieles kann man mit kieferorthopädischen Maßnahmen behandeln, aber es bleibt immer eine Gruppe Patienten übrig, bei denen die konservativen Methoden nicht ausreichen. Da ist eine Operation erforderlich. Wir korrigieren die falsche Position der Kiefer zueinander.
Wie machen Sie das?
Wir durchtrennen den Kiefer und setzen ihn in die richtige Position. Dadurch beißt der Patient besser, die Sprechfunktion wird verbessert. Was dazu kommt: Durch die Korrektur sehen die Patienten auch besser aus. Das kommt dem Zeitgeist sehr entgegen.
Erhält man bei Ihnen ein neues Gesicht aus dem Computer, wie der Titel eines Vortrags auf dem Kongress lautet?
Früher hat man die Operation mit einem Gipsmodell simuliert, um die optimalen Positionen der Kiefer zu finden. Heute erhält man die ganzen Daten durch virtuelle Planung. Letztendlich operieren wir den Patienten virtuell am PC. Die exakte Situation vom Computer können wir bei der Operation auf den Patienten übertragen und erhalten damit bessere Resultate.
Welche Vorteile haben die technischen Neuerungen außerdem?
Inzwischen ist man schon so weit, dass man vorhersagen kann, wie der Patient nach der Operation aussehen wird. Die Patienten sind im Schnitt 22 Jahre alt. Für sie ist es von substanzieller Bedeutung, eine Vorstellung zu bekommen, wie sie hinterher aussehen.
Bergen die technischen Fortschritte auch Risiken?
Bei Neuheiten ist man anfangs euphorisch, dann tauchen Kritikpunkte auf. Wir sind in der Phase, in der wir versuchen, die Innovationen dort zu integrieren, wo es Sinn macht. Oder herauszufinden,wo wir es sein lassen.
Weil es Geld kostet, Neuheiten anzuschaffen?
Natürlich, das Ganze kostet Geld. Aber auch Zeit und Personal. Man muss heute im Gesundheitswesen immer die Kosten-Nutzen-Relationen sehen. Wenn aber Patienten ganz konkret davon profitieren, dann sollte man sich stark dafür machen, dass es ihnen auch angeboten wird.
Warum haben Sie sich bei dem zweiten Schwerpunktthema für die Zahn-Implantologie entschieden?
Die Implantologie ist mit das innovativste, was es momentan in der Zahnheilkunde gibt. Was sich bei dem Gebiet in den letzten Jahren getan hat, ist gewaltig. Unser Thema werden die Implantate bei schwieriger Ausgangssituation sein. Das ist zum Beispiel der Fall bei einem Patienten, der nicht nur einen Zahn verloren hat, sondern bei dem auch noch ein Knochendefekt bedingt durch eine Entzündung vorliegt. Es ist also zu wenig Fundament da, um ein Implantat einzusetzen. In diesen Fällen bauen wir teilweise aus eigenen Knochen oder aus synthetischem Material ein Fundament auf. So etwas kommt auch nach Unfällen oder nach Tumoroperationen vor.
Die Menschen werden immer älter. Werden vor diesem Hintergrund Implantate auch immer wichtiger?
Das ist ein wichtiges Thema für uns: Implantate im hohen Alter. Wie lange kann ich so etwas einem älteren Menschen noch zumuten? Wie können einfache Methoden helfen, dass auch ein Hochbetagter noch seine Implantate bekommt? Heute haben wir die Möglichkeit, schon am Computer zu sehen, wo genau wir operieren müssen. Das heißt, es sind keine großen Schnitte mehr nötig. Der Eingriff belastet den Patienten nicht so sehr.
Auch die Schlafmedizin wird Thema bei Ihrem Kongress sein. Was hat die MKG-Chirurgie mit Schnarchen zu tun?
Wir haben zuvor eine Umfrage bei niedergelassenen Hausärzten und Schlaflaboren gemacht, um herauszukriegen, wie bekannt es eigentlich ist, dass wir bei Patienten, die schnarchen, helfen können. Das Traurige war: Das ist nur Wenigen bekannt.
Wie können Sie denn helfen?
Man muss zwischen dem einfachen Scharchen und der Schlafapnoe – also des Atemstillstands während des Schlafes – unterscheiden. Beim einfachen Schnarchen können wir durch eine leichte Vorverlagerung des Kiefers helfen. Das erreichen wir durch eine sogenannte Schnarcherschiene, ähnlich einer Beißschiene, die beim Zähneknirschen im Schlaf verwendet wird.
Und bei den gefährlichen Atemaussetzern während des Schlafes?
Diese Patienten sind geplagt, weil sie nachts eine C-Pap-Maske anlegen müssen, die die Atmung maschinell unterstützt. Bei der Schlafapnoe sind die Atemräume eingeengt. Wir können die Ober- und Unterkiefer nach vorne schieben, so dass die Atemwege hinten vergrößert werden. Damit behandeln wir nicht nur die Symptome, sondern die Ursache. Viele Schlaflabore wissen gar nicht, dass MKG-Chirurgen so etwas durchführen. Und das sollte natürlich nicht so sein.