Mit Libroid wird auf dem iPad gelesen Foto: Hersteller

Das Libroid ist das erste multimediale Buch.  Auch wenn das manchem Verlag nicht gefällt.      

Stuttgart - Das elektronische Buch führt in Deutschland nach wie vor ein Nischendasein. Jetzt bringt der Schriftsteller Jürgen Neffe mit dem Libroid eine neue Darstellungsform heraus, die Bücher multimedial erlebbar macht. Damit will er nicht den Papierdruck kaputt machen, sondern die Kultur des Lesens bewahren.

 

Herr Neffe, in wenigen Wochen kommt Ihr erstes Libroid als Applikation für Apples Tablet-PC iPad heraus. Ist der Markt überhaupt reif für multimediale Bücher? Immerhin hat sich das E-Book noch nicht mal durchgesetzt.

Wenn man die Wahl hat, zu früh oder zu spät zu kommen, entscheide ich mich für zu früh. Dabei sehe ich die Zukunft von Libroiden deutlich vielversprechender als die von E-Books: Letztere sind oft nicht mehr als ein digitales Abbild des gedruckten Buchs. Libroide bieten einen Mehrwert zum reinen Lesen und brechen mit Traditionen des klassischen Buchdrucks.

In den USA verkauft Amazon inzwischen mehr elektronische Bücher als gedruckte. Woran liegt es, dass die Digitalisierung hierzulande so langsam vorangeht?

Die deutschen Verlage sind mit dem Thema bisher sehr hilf- und lustlos umgegangen. Zwar stand die jüngste Buchmesse in Frankfurt im Zeichen der Digitalisierung - E-Books gab es an den Ständen der großen Verlagshäuser aber keine zu sehen. Das ist in etwa so, als ob die Autoindustrie alternative Antriebe als Zukunftstechnologie ankündigt - auf ihren Messen aber kein einziges Hybrid- oder Elektroauto zeigen würde. Wenn Bücher heute in elektronische Formate umgewandelt werden, dann geschieht das leider allzu oft lieblos und ohne Engagement. Häufig wird Autoren nicht einmal mitgeteilt, dass ihr Werk auch digital angeboten wird. Ich finde es skandalös, dass sich die Verlage bis heute nicht adäquat um die neuen Techniken kümmern.

Womöglich liegt das daran, dass sich die Branche mit der Verbreitung elektronischer Bücher in ihrer Existenz bedroht sieht.

In den Verlagshäusern herrscht große Angst - vor allem vor dem technisch Unbekannten. Doch statt offensiv nach Strategien zu suchen, hält man lieber möglichst lang an Altem fest. Mit der Einstellung laufen die Verlage auf die gleiche Wand zu, auf die schon die Musikindustrie beim Übergang von der Schallplatte auf CD und dann MP3 zugelaufen ist. Klar wird der Trend zum elektronischen Buch bei Druckern und Buchhändlern Jobs kosten. Wer dagegen aufseiten der Verlage überleben will, muss sich vom Anbieter klassischer Bücher zum Entwickler multimedialer Inhalte wandeln. Man sollte sich nur ansehen, wie selbstverständlich Kinder mit iPhone oder iPad umgehen.

Trotzdem werfen Ihnen Kritiker vor, das klassische Buch zerstören zu wollen.

Das klassische Buch ist gefährdet, seit sich Texte elektronisch lesen lassen. Dennoch wird es wohl immer Bücher geben, wenn auch bald in sehr viel geringerer Stückzahl. Das Buch müssen wir nicht retten, aber das Lesen. Denn Autoren wollen vor allem eines: gelesen werden. Ob von Papier oder vom Touchscreen wird irgendwann sekundär. Dieser Gedanke stand im Mittelpunkt, als ich mit der Entwicklung des Libroids begann: Wie können wir die Kultur des Lesens auf multimedialen Geräten bewahren?

Glauben Sie, dass elektronische Bücher gedruckte irgendwann ablösen werden?

In meinem Büro bin ich von Büchern umgeben, das wird wohl so bleiben, solange ich lebe und arbeite. In Zukunft werden Papierbücher, E-Books und Multimedia-Angebote nebeneinander existieren. Allerdings werden sie auch gegeneinander um unsere Aufmerksamkeit konkurrieren. Das Drei-Spalten-Libroid ist nicht der, sondern nur ein Vorschlag für das Buch der Zukunft. Darin wird zum Beispiel nicht mehr geblättert, denn das war dem Druckprozess geschuldet, sondern gescrollt, wie man es vom Computer kennt. Die aufs Wort genaue Prozentangabe ersetzt die Seitenzahl.

Was macht Sie so sicher, dass reine E-Books in der Zukunft keine große Rolle spielen, Libroide hingegen schon?

Dahinter steckt eine Reihe von Gedanken. Erstens: E-Books, wie sie etwa Amazon vertreibt, benötigen spezielle Lesegeräte. Zweitens: Die Erfahrung zeigt, dass die Menschen lieber möglichst viele Dinge mit nur einem Gerät erledigen. Drittens: E-Books werden deshalb mehr und mehr auf multimedialen Geräten wie dem iPad gelesen - trotz der Nachteile in der Lesbarkeit. Viertens: Neben den anderen Inhalten wirken sie dort bald blass und beschränkt. Daher werden sie sich unvermeidlich wandeln und der neuen Umgebung anpassen - vom Buch übers E-Book zum Libroid. Das rückt den Text und damit das Lesen ins Zentrum. Weitere Inhalte finden sich rechts und links vom Text in Randspalten, zum Beispiel Bilder, Karten und weiterführende Links. Vor allem Reiseführer, Sach- und Fachbücher lassen sich so aufwerten. Das Problem der Aktualisierung ist endlich lösbar. Bisher finden neue Erkenntnisse oft erst nach Jahren Eingang in die nächste Auflage. Beim Libroid ist ein Update jederzeit denkbar. Darüber hinaus bieten Libroide die Möglichkeit, Texten Notizen zuzufügen und sie mit anderen Lesern zu teilen - mit jedem Kommentar entwickelt sich das Buch weiter und bekommt so ein Eigenleben.

Wenn Sie die Möglichkeiten des Lesens erweitern wollen - warum haben Sie sich dafür ausgerechnet das iPad ausgesucht, das bisher nur sehr wenige Menschen benutzen?

Mir geht es erst einmal darum, eine neue Technologie zu demonstrieren und die Buchbranche aufzurütteln - deshalb heißt mein Verlag mit ironischem Unterton ja auch "Verlag der ungedruckten Bücher". Auf welchem Gerät die Technik läuft, ist mir letztlich egal. Momentan gibt es nur das iPad, künftig werden weitere Endgeräte hinzukommen, auf denen Libroide selbstverständlich auch laufen sollen. Im Übrigen ist das iPad zwar in Deutschland erst wenig verbreitet, in den USA sind aber bereits mehrere Millionen im Umlauf. Und das erste Libroid wird nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch, Spanisch und Italienisch zu lesen sein - durch Umschalten der Sprache innerhalb der App. Damit vervielfacht sich die Zahl der möglichen Käufer.

Apropos kaufen: E-Books verbreiten sich auch deshalb so zögerlich, weil sie kaum günstiger sind als gedruckte Bücher. Wie viel wird ein Libroid kosten?

Das erste Libroid, basierend auf einer gekürzten Version meines Bestsellers "Darwin. Das Abenteuer des Lebens", soll 7,99 Euro kosten. Nach 25 000 Downloads sind die Entwicklungskosten wieder drin. Das klingt hoch, aber nicht utopisch. Wer daran gewöhnt ist, dass es im Internet alles umsonst gibt, wird das für teuer halten. Viele einfache E-Books kosten heute allerdings deutlich mehr. Ich habe nach einem Mittelweg gesucht. Die Preise hiesiger E-Books halte ich für unverantwortlich, das wird so nicht zu halten sein - und es führt unweigerlich zur Verbreitung illegaler Downloads, die sich irgendwann nicht mehr eindämmen lässt, ähnlich wie seinerzeit bei der Musik. Über meinen Verlag will ich künftig auch anderen Autoren die Möglichkeiten anbieten, ihre Inhalte in Libroide umzuwandeln. Das Interesse daran ist enorm.

Was bedeutet, dass künftig jeder alles auf elektronischem Weg veröffentlichen kann und der Umweg über Verlage unnötig wird.

Elektronische Medien bieten Autoren, die keinen Verlag finden, in der Tat eine neue Chance, ihre Texte eigenständig zu publizieren - und womöglich dadurch bekannt zu werden. Lektoren, die die Spreu vom Weizen trennen, werden aber auch künftig gebraucht, zudem Gestalter, Techniker und so weiter. Selbst der Beruf des Buchhändlers stirbt mit dem Wandel vom gedruckten zum elektronischen Buch nicht automatisch aus - er wird sich nur dramatisch verändern, etwa zu einer Art Medienberater, der seinen Kunden, auch online, nach ihren Bedürfnissen im unüberschaubaren Angebotsdschungel Orientierung verschafft. Es wird nur endlich Zeit, die Entwicklung aktiv mitzugestalten, statt den Kopf in den Sand zu stecken, nur weil die Welt sich verändert.

Am 4. und 5. November veranstaltet der Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Berlin einen Kongress zur Zukunft der Branche, auf dem auch Neffe spricht. Infos unter www.berlinerbuchhandel.de oder 030/ 26 39 18 11. Ein Video gibt es unter www.youtube.de.