Muhterem Aras (Mitte), auf dem Bild mit Detlef Raasch und Selma Frey, ist das politische Gesicht des Stuttgarter CSD. ­ Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Im Mittelpunkt des des Christopher-Street-Days stehen in diesem Jahr die politische Ungleichbehandlung und Missstände innerhalb der Gemeinschaft.

Stuttgart - Als Muhterem Aras vor Beginn des CSD-Neujahrsempfangs im Cannstatter Kursaal zur Pressekonferenz erscheint, ist deutlich spürbar: Das ist kein Pflichttermin für die Landtagspräsidentin. Mit sichtlicher Freude gibt sie zu verstehen, die Schirmfrauschaft für den Stuttgarter Christopher Street Day 2022 sei ihr eine Ehre. Aras ist offenkundig begeistert, dass die Regenbogen-Community der Landeshauptstadt ihrem Ruf, den politischsten CSD Deutschlands zu veranstalten, auch nach zwei Jahrzehnten treu bleibt. Nach dem Abschied von Geschäftsführer Christoph Michl starten die Organisatoren mit neuem Corporate Design – einem regenbogenfarben flankierten „Stuttgart Pride“-Logo – mit frischem Wind durch. So will man dieses Jahr ein besonders deutliches gesellschaftliches Zeichen setzen. Das Motto ist ausdrücklich weiter gefasst als der letzte Saison-Slogan „Schaffe, schaffe – bunter werden!“. Diesmal hat sich das CSD-Team „Community. Kraft. Europa“ auf die Fahnen geschrieben. Der Blick weitet sich verstärkt in Richtung EU-Nachbarn.

Aras: EU ist eine Wertegemeinschaft

Muhterem Aras, die auch Mitglied im Europäischen Ausschuss der Regionen (COR) ist, begrüßt diesen Schritt. Der CSD habe es immer schon geschafft, wichtige Themen kreativ auf die Straße zu bringen, hält sie fest. Eine der großen aktuellen Herausforderungen auf internationalem Parkett sei die Rückbesinnung auf die EU als Wertegemeinschaft, die auch den Willen habe, Grundrechte durchzusetzen. „Wenn ein Land wie Polen LSBTTIQ-freie Zonen ausruft, dürfen Sanktionen nicht ausbleiben“, stellt sie klar. Freizügigkeit in Europa bedeute auch, dass niemand in einem der Mitgliedstaaten aufgrund seiner sexuellen Orientierung Angst vor Diskriminierung haben dürfe.

Der Blick soll auch nach innen gehen

Rumänien, wo die medizinische Behandlung von HIV-positiven Menschen eingeschränkt wurde, oder Ungarn bieten weitere Beispiele für einen Umgang mit der Community, der den Grundsätzen der EU widerspricht. Die Kritik an den anderen ist allerdings nur ein Aspekt des CSD-Mottos. „,Community. Kraft. Europa‘ heißt auch, dass wir einen Blick nach innen werfen und uns mit der unterschiedlichen Teilhabe, Barrieren und Missständen innerhalb der eigenen Reihen beschäftigen wollen“, sagt Selma Frey, Mitglied des CSD-Vorstandsteams: „Wir wollen daran erinnern, dass man vieles schaffen kann, wenn alle zusammenarbeiten und sich als Gemeinschaft verstehen.“ Das bedeute gleiche Rechte innerhalb der Community und ein Ende des „Zerpflückens“ zwischen einzelnen Gruppen.

Schließlich bietet auch die deutsche Politik weiter Anlass, am Ball zu bleiben. Aras begrüßt ausdrücklich, was zu queeren Menschen im Koalitionsvertrag der Ampel steht. „Es ist höchste Zeit für Schritte wie die Abschaffung des Transsexuellengesetzes und seine Ablösung durch ein Selbstbestimmungsgesetz oder für die Stärkung von Regenbogenfamilien“, so die Landtagspräsidentin. Nun gelte es, hinsichtlich der Umsetzung dranzubleiben. Vier Jahre Regierungszeit seien schnell vorbei. Überdies mahnt sie ein offizielles Gedenken an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag als überfällig an.

Das Festival ist auch lebensfroh – mit Trollinger

Muhterem Aras würdigt den Christopher Street Day als „nachhaltigste politische Demonstration“. Vorstandsmitglied Detlef Raasch obliegt es, den lebensfrohen Aspekt des politisch-kulturellen Vielfaltsfestivals ins rechte Licht zu rücken. Er stellt die neue Wein- und Secco-Auswahl vor, die in Kooperation mit den Fellbacher Weingärtnern für die Pride-Zeit ausgewählt wurde. Darunter einen weiß gekelterten Trollinger. „Niemand muss fürchten, dass ihm die Schwulen und Lesben nun auch noch seinen Rotwein wegnehmen“, scherzt Raasch, „das ist natürlich nicht der Fall. Ich versichere trotzdem, und das sage ich als gebürtiger Rheinländer: Er ist sehr gut!“