Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen räumt zum Auftakt der Münchner Sicherheitskonferenz ein, dass Deutschland mehr Geld für seine Verteidigung ausgeben muss.
München - US-Präsident Donald Trump stößt mit seiner Kritik an der deutschen Zurückhaltung bei den Militärausgaben auch hierzulande auf Zustimmung. „In Sicherheitskonferenzen sind wir Weltklasse, aber was unsere eigenen Streitkräfte angeht und die strategische Analyse, was wir leisten müssen – da sind wir so schwach wie kaum jemals zuvor,“ ruft der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) von außen in die Münchner Sicherheitskonferenz hinein. So muss sich die heutige Amtsinhaberin Ursula von der Leyen schon zu deren Auftakt des Vorwurfs erwehren, mehr zu reden als zu handeln.
„Der amerikanische Ruf nach mehr Fairness in der Lastenteilung ist berechtigt“, räumt die Christdemokratin ein. „Wir Europäer müssen mehr in die Waagschale legen.“ Der deutsche Verteidigungshaushalt sei seit 2014 um 36 Prozent nach Nato-Kriterien gestiegen. Und es gebe einen klaren Plan, „wie wir unsere Bundeswehr bis 2024 modernisieren werden“. Damit werde das deutsche Budget zehn Jahre nach Wales um 80 Prozent gewachsen sein. Beim 2014er Gipfel hatten sich die Nato-Staaten verpflichtet, bis 2024 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Verteidigung auszugeben.
Von der Leyen hält am Zwei-Prozent-Ziel fest
Von der Leyen muss schon darum kämpfen, die Militärausgaben bis 2024 von derzeit 1,35 auf 1,5 Prozent des BIP zu steigern. Dies wäre ein Anstieg des Etats von 43,2 Milliarden Euro in diesem Jahr auf fast 51 Milliarden in sechs Jahren auf Grundlage der heutigen Wirtschaftsleistung. Letztendlich dürften es am Ende noch einige Milliarden mehr sein. Bundesfinanzminister Olaf Scholz will selbst für die 1,5 Prozent keine Zusage abgeben, und zwei Prozent lehnt seine SPD gänzlich ab. So sagt die Amtskollegin in München auch an die Adresse des Koalitionspartners: „Wir wissen, dass wir noch mehr tun müssen – wir halten am Zwei-Prozent-Ziel fest.“
Wie sie ihre Zusagen umsetzen will, darüber geht die Verteidigungsministerin ebenso hinweg wie über die in der Koalition heikle Debatte einer möglichen atomaren Nachrüstung nach dem Scheitern des INF-Vertrags. Die Diskussion müsse auf andere Atommächte wie China ausgeweitet werden, meint sie ausweichend. Es könnten nicht mehr die alten Antworten wie in den 80er Jahren gegeben werden.
Dass die Deutschen in Sicherheitskonferenzen „Weltklasse“ sind, hat vor allem mit Wolfgang Ischinger zu tun, dem Organisator des Münchner Konferenz, deren 55. Ausgabe nach seinen Worten diesmal „die größte und wichtigste“ ist. „Wir erleben eine epochale Verschiebung“, sagt Ischinger. „Die liberale Weltordnung scheint auszufransen.“ Das Vertrauen sei auf besorgniserregende Weise verloren gegangen. Daher tragen „Sie alle eine noch größere Verantwortung als in der Vergangenheit“, redet er den Regierungschefs und Ministern ins Gewissen.
EU soll mehr für die eigene Sicherheit tun
Zentrales Anliegen der Konferenz ist es, den weltweit stärker werdenden Nationalismus in die Schranken zu weisen und dem Prinzip des Multilateralismus wieder die nötige Geltung zu verschaffen. Instabilität soll bekämpft und Berechenbarkeit wiederbelebt werden. In diesem Sinne dürfte sich an diesem Samstag auch Kanzlerin Angela Merkel äußern, die dazu passend vor US-Vizepräsident Mike Pence auftreten wird. „Die Überzeugung, dass wir miteinander mehr gewinnen, als wenn wir gegeneinander arbeiten, steht zur Debatte“, hat sie schon im Vorfeld gewarnt. Dass Merkels wichtiger Partner, der französische Präsident Emmanuel Macron, nicht nach München kommt, gehört zu den Schönheitsfehlern dieser Sicherheitskonferenz, die einige Absagen zu verkraften hat.
Immerhin erwartet Ischinger, zur Begrüßung sinnig in einen blauen Europa-Hoodie gekleidet, dass die Konferenz allen vor Augen führen wird: Die EU sei trotz bilateraler Unstimmigkeiten etwa zwischen Rom und Paris bereit, für ihre Selbstbehauptung und für ihre Interessen zu kämpfen. Überfällig sei es, dass sich die EU zu einer Verteidigungsunion wandelt. Sie müsse ihre Bürger und das Territorium zunehmend selbst schützen können. „Wir haben uns auf den Weg gemacht“, sagt von der Leyen dazu. „Endlich haben wir Mittel und Wege gefunden, unsere Fragmentierung zu überwinden.“ Planung, Beschaffung und Einsatzfähigkeit würden harmonisiert. „Auch das ist transatlantische Lastenteilung.“
Britischer Verteidigungsminister geht auf Moskau los
Die Trump-Regierung ermahnt von der Leyen zur Fairness in der politischen Entscheidungsfindung und zur Aufgabe ihrer Alleingänge – etwa was die Afghanistan-Mission angeht. „Die Entscheidungen werden im Lichte der Fortschritte gemeinsam in der Allianz besprochen und getroffen“, sei mit den Amerikanern gerade noch einmal in Brüssel vereinbart worden.
Derweil bemüht sich ihr Londoner Amtskollege Gavin Williamson, Befürchtungen zu zerstreuen, dass die Briten kein verlässlicher Partner mehr sein könnten. „Unser Bekenntnis zur europäischen Sicherheit bleibt unverbrüchlich“, betont er. „Wir sehen den Brexit als eine Chance, die Führung zu bieten, die die Welt von Großbritannien erwartet.“
Die Nato müsse jedoch weiterhin das Fundament der gemeinsamen Sicherheit sein. „Wir sollten die zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht für die USA, sondern für unsere eigene Sicherheit ausgeben“ – denn: „Ein alter Gegner ist zurück.“ Anders als von der Leyen geht der Brite Moskau frontal an: Russland bleibe eine Bedrohung, sagt er. Es beschädige seinen Ruf mit der Geringschätzung internationaler Grenzen und Souveränität. Es habe klar den INF-Vertrag verletzt und versuche, den Westen in ein neues Wettrüsten zu treiben. „Das Abenteurertum von Russland muss seinen Preis haben.“
Nato-Generalsekretär gegen neues Wettrüsten
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg scheint zunächst seinerseits in die Drohgebärde zu verfallen. „Das gesamte Atomwaffenkontrollregime ist in Gefahr“, warnt er. Die neuen russischen Mittelstreckenraketen könnten sogar München erreichen. Aber Russland habe noch eine Chance, vertragskonform zu werden. „Die Uhr tickt.“ Doch schlägt Stoltenberg auch moderatere Töne an. „Die Nato hat nicht die Absicht, neue nuklearfähige Flugkörper in Europa zu stationieren“, bekräftigt er mehrfach. „Wir sind entschlossen, ein neues Wettrüsten zu vermeiden.“ Weil man sich keine Naivität leisten könne, werde die Allianz „gemeinsam und mit Augenmaß“ reagieren.
Schon vor seinem Auftritt hat er am Rande die Bedeutung des Dialogs mit dem Kreml unterstrichen. So zeigt sich, dass die Konferenz einerseits zur Verständigung beiträgt – und andererseits zur Konfrontation.