Sigmar Gabriel ist gerade unermüdlich als Außenminister unterwegs – auch bei der Sicherheitskonferenz gibt er sich kämpferisch. Foto: dpa

Außenminister Sigmar Gabriel gibt sich bei der Münchner Sicherheitskonferenz als Mahner Europas. Dies ist auch eine Werbung in eigener Sache – wie zuvor schon die Freilassung von Deniz Yücel in der Türkei. Offen ist dennoch, ob die SPD ihn weitermachen lässt.

München - Ist es wirklich seine letzte große Rede, wie viele spekulieren? Erwartet ein Außenminister, der so umfassend nach vorne blickt, dass er in wenigen Wochen abgelöst wird? Mit seinem Auftritt am Samstagmorgen bei der Münchner Sicherheitskonferenz macht Sigmar Gabriel unmissverständlich deutlich, dass er weiter machen will. Er sagt dies zwar mit keiner Silbe, doch in nahezu jedem Satz steckt den Anspruch, weiter die deutschen Geschicke in der Welt zu vertreten.

Gabriel redet zügig, nicht effektheischend. Möglichst viel Inhalt will er in dem ihm bleibenden Zeitfenster unterbringen. Dabei rät er den Russen, Chinesen, aber auch Vereinigten Staaten ins Gewissen – sie sollten nicht permanent versuchen, „die Geschlossenheit der EU zu testen und manchmal zu unterlaufen“. Den europäischen Partnern empfiehlt er eine „gemeinsame Machtoption in der Welt“, um gegen die Großmächte bestehen zu können. „Als einzige Vegetarier werden wir es in der Welt der Fleischfresser schwer haben“, sagt Gabriel. Es ist praktisch das einzige Bonmot in einer ansonsten sehr ernsthaften Rede.

Die alte Frage von Freiheit und Demokratie

Zudem mahnt er mehr Geschlossenheit in der EU an. „Wir brauchen den europäischen Moment“, betont der SPD-Politiker. „Europa ist nicht alles – aber ohne Europa ist alles nichts.“ Es gehe wieder um die alte Frage von Freiheit und Demokratie im Wettbewerb mit autokratischen Regierungen. Visionär soll das wohl klingen, wenn er von einer historischen Wegscheide redet, vor der Europa stehe, und – ganz sozialdemokratisch – auf Frieden gepolt: So nennt er eine Blauhelm-Mission im Donbass zwar „extrem anspruchsvoll, aber einen Versuch wert“. Gabriel stellt sich in die Tradition von Vorgänger Frank-Walter Steinmeier, der unermüdlich als globaler Vermittler unterwegs war.

Der Außenminister, der zu einem der beliebtesten Politiker aufgestiegen ist, kämpft auf der Münchner Bühne vor der Weltpresse auch um sein Amt. Eigentlich hatte er – früheren Andeutungen zufolge – schon mit dem jetzigen Job abgeschlossen. Nach Abschluss der Groko-Verhandlungen sah er jedoch seine Chance auf einen Verbleib. Kurzfristig versuchte Martin Schulz dazwischen zu grätschen – vergeblich. Nun könnte Gabriel erneut der Gewinner sein. Doch der Widerstand in der SPD ist beträchtlich: Auf der Führungsebene hat er vormals zu viele vergrätzt, und an der Basis kommen seine rüde Art sowie sein sprunghaftes Agieren auch nicht bei jedem gut an. Die Verbalattacke auf Schulz, den „Mann mit den Haaren im Gesicht“, brachte das Fass zum Überlaufen, selbst wenn er sich danach für seine Bemerkung, die er der Tochter in den Mund gelegt hatte, entschuldigte. Klar ist: Selbst wenn er nur noch geringe Chancen auf das Außenamt hat, so will es der frühere Vorsitzende seinen Gegnern möglichst schwer machen, ihn abzulösen.

Nahles warnt vor Kampagne in eigener Sache

Noch am Vortag hat die designierte SPD-Chefin Andrea Nahles den geschäftsführenden Außenminister zum Verzicht auf Werbung in eigener Sache aufgerufen. „Es ist jetzt nicht die Zeit, dass Einzelne eine Kampagne für sich selbst starten“, sagte Nahles dem „Spiegel“. Die Mitglieder hätten „die Faxen dicke von den ewigen Personaldebatten“. Die Frage, wer welchen Kabinettsposten besetzt, stehe jetzt nicht im Vordergrund. Jetzt gehe es vielmehr darum, „für ein Ja bei unseren Mitgliedern zu werben“.

Kampagne für sich selbst? Gabriel antwortet mit noch mehr Aktionismus als Außenminister. Als Geschenk des Himmels auch für ihn persönlich könnte sich die Freilassung von Deniz Yücel erweisen. Am Freitagmittag war er für ein erstes Statement zur Neuigkeit in der Türkei erst vor die Kameras am Bayerischen Hof getreten. Dann flog er eilig nach Berlin, um eine Pressekonferenz in der „Welt“-Redaktion zu geben. Anschließend kam er nicht zeitig genug nach München zurück – die geplanten Ostukraine-Verhandlungen im Normandie-Format musste er platzen lassen. Es reichte allerdings, um mit dem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu am Abend zu vereinbaren, die Beziehungen zunächst in den Bereichen Wirtschaft, Energie und Sicherheit wieder zu verbessern. „Wir müssen uns auf die positiveren Sachen konzentrieren“, sagte Cavusoglu stellvertretend für Gabriel, seinen „lieben Freund“.

Vor allem die Kanzlerin hervorgehoben

Am Samstag fordert Gabriel: „Wir müssen das Momentum nutzen, alle Gesprächsformate mit der Türkei zu beleben.“ Kein Angebot dürfe man liegen lassen. „Ohne das Gespräch mit der türkischen Seite wüsste ich nicht, wie wir vorankommen.“ Mit der Freilassung von Yücel sei eines der größten Hindernisse beseitigt. Doch es seien noch immer Deutsche in türkischer Gefangenschaft.

Bemerkenswert auch, wie sehr er zuvor in seinen Stellungnahmen zu Yücel die Bundeskanzlerin hervorgehoben hat. Er danke ihr dafür, „dass sie so viel Vertrauen hatte, mir die Arbeit hier zu ermöglichen und uns Spielraum zu geben“. Sie ließ ihn machen – und er konnte (mit Hilfe von Altkanzler Gerhard Schröder) liefern. Auch lobt er den Auswärtigen Dienst über alle Maßen, der sehr gut sein könne, wenn man ihn nur arbeiten lasse. Einen triumphalen Unterton jedoch versagt er sich. Auf die Frage, was die Freilassung von Yücel für sein Verbleib im Amt bedeute, sagt Gabriel nur kurz angebunden: „Gar nichts.“ Diese Frage habe er sich nicht gestellt.

Am Rande der Konferenz spricht er sich nicht nur für einen schrittweisen Abbau der Sanktionen gegen Russland aus, sondern scherzt auch schon wieder mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow: „Er ist 13 Jahre, bald 14 Jahre im Amt“, sagt der Sozialdemokrat. „Ich bin nicht sicher, dass ich 14 Monate schaffe.“