Der Gedenkort des Amoklaufs von München Foto: dpa

An diesem Montag beginnt der Prozess gegen Philipp K., der dem Münchner Amokläufer vom Juli 2016 Waffe und Munition verkaufte. Gefunden hatten sie sich im verborgenen Bereich des Internets, in dem auch Fahnder als Lockvögel unterwegs sind.

München - Als sich Philipp K. am 16. August 2016 gegen 13.30 Uhr dem Busbahnhof in Marburg nähert, scheint alles nach Plan zu laufen. Auf einer Bank an der Haltestelle sitzt ein Mann mit einem Gitarrenkoffer. K. kontrolliert noch einige Minuten die Umgebung. Dann ist er sicher, dass der Unbekannte auf der Bank auf ihn wartet und allein am Treffpunkt erschienen ist. Schließlich hat der Mann auch einen Gitarrenkoffer dabei, das verabredete Erkennungszeichen. So hatten es die beiden im Darknet vereinbart, wo K. als „Rico“ auftritt.

Philipp K. geht zur Bank an der Haltestelle und fragt den Unbekannten, ob er das Geld dabei habe. Der Mann nickt und steht auf. Zusammen gehen sie dann zu einem Parkplatz in einiger Entfernung, wo „Rico“ seinen VW Lupo abgestellt hat. Vom Rücksitz des Autos holt er eine Tasche und einen Rucksack. Darin befinden sich ein Sturmgewehr vom Typ VZ 58 und eine Pistole vom Typ Glock 17 samt Munition. Der Unbekannte von der Bushaltestelle schaut in die Tasche, nickt und gibt „Rico“ 8000 Euro. Der zählt kurz das Geld und überreicht dem anderen dann wortlos die Tasche mit den Waffen. Das Geschäft ist abgewickelt.

Nachdem der Unbekannte gegangen ist, steigt „Rico“ in sein Auto und will losfahren. Doch plötzlich ist sein Wagen umringt von Uniformierten: Spezialkräfte des Zollkriminalamtes nehmen Philipp K. fest. Er ist in eine Falle getappt, denn sein Käufer war ein Zollbeamter und hatte als Lockvogel den Waffenhändler aus dem Darknet nach Marburg bestellt.

Von diesem Montag an wird Philipp K. der Prozess gemacht. Vor dem Münchner Landgericht muss sich der 32-Jährige aus Marburg dann wegen unerlaubten Handels mit Kriegswaffen, Waffen und Munition in fünf nachgewiesenen Fällen verantworten. In einem Fall kommt zudem der Strafvorwurf der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung hinzu – denn mit einer von Philipp K. verkauften Waffe schoss vor einem Jahr der sogenannte Amokschütze vom Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) um sich und tötete neun Menschen.

Nur sechs Juristen stehen der zentralen Behörde zur Verfügung

Auf die Spur von K. war die hessische Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) gekommen. Sie hatte K. in dem auf Drogen- und Waffenhandel spezialisierten Darknet-Forum „Deutschland im Deep Web“ (DiDW) aufgespürt. Die bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main ansässige ZIT-Einheit besteht aus gerade einmal sechs Juristen. Sie sollen fast Unmögliches schaffen – nämlich die Anonymität jener Händler und Kunden knacken, die das Darknet für ihre kriminellen Geschäfte von Waffenhandel bis zu Kinderpornografie nutzen. Das kann nur durch jahrelange Ermittlungstätigkeit gelingen, denn jeder User, der auf eine der schätzungsweise rund 5200 Webseiten des Darknet gelangen will, kann getarnt durch den sogenannten Tor-Browser schlüpfen und damit sicherstellen, nicht identifizierbar zu sein.

Im Darknet in kriminelle Handelsforen einzudringen gelingt meist nur, wenn man zuvor einen Verdächtigen geschnappt hat und ihm einen – nach Paragraf 46b des Strafgesetzbuches erlaubten – Deal anbietet: Im Tausch gegen eine mildere Strafe stellt der Beschuldigte seinen Darknet-Account den Ermittlern zur Verfügung, die nun als Lockvogel immer tiefer in die Händlerstruktur eindringen.

Auch im Fall von Philipp K. alias „Rico“ hat das auf diese Weise funktioniert, ohne dass der Massenmord im Olympia-Einkaufszentrum allerdings verhindert werden konnte. Dabei begannen die Ermittlungen gegen das DiDW-Forum – das vor einigen Wochen endgültig ausgehoben werden konnte – bereits im April 2015, also gut ein Jahr vor der Tat in München. Damals hatte das Zollfahndungsamt in Frankfurt das Verfahren gegen einen Waffenkäufer eröffnet, der in dem Forum verkehrte. In Abstimmung mit der ZIT übernahm der Zoll dessen Tarnidentität „Erich Hartmann“.

Zum Fahndungserfolg führte die Tarnidentität „Erich Hartmann“

Auf diese Weise konnten im Juli und August 2016 zwei weitere Darknet-Käufer identifiziert werden, zu denen der Lockvogel „Erich Hartmann“ Verbindung aufgenommen hatte. Bei ihnen wurden zahlreiche Waffen und große Bestände an Munition sichergestellt, die sie illegal erworben und gelagert hatten. In ihren Vernehmungen waren die beiden Beschuldigten weitgehend geständig und gaben an, im DiDW-Forum unter anderem auch Geschäfte mit einem „Rico“ abgewickelt zu haben.

Ein „Rico“ war auch schon der Münchner Polizei aufgefallen, als sie die Herkunft der Waffe ermittelte, mit der David S. im OEZ um sich geschossen hatte. Dieser „Rico“ hatte S. im Juni und Juli 2016 die Tatwaffe – eine Glock 17 – und mehrere Hundert Schuss Munition verkauft.

Nun gab es also die Möglichkeit, den unbekannten Waffenhändler, von dem es bis dahin nur eine ungefähre Personenbeschreibung gab – etwa 1,90 Meter groß, kräftig gebaut, Brillenträger –, dingfest zu machen. Einer der beiden festgenommenen Waffenhändler erklärte sich dazu bereit, seine Tarnidentität zur Verfügung zu stellen, unter der ein Zollbeamter Kontakt zu „Rico“ aufnahm und das Treffen am Marburger Busbahnhof verabredete. Dort wurde Philipp K. dann am 16. August 2016 verhaftet.

Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft soll K. bereits seit einigen Jahren im Darknet Waffen verkaufen. Für den 32-Jährigen war dies offenkundig die Haupterwerbsquelle. Zuvor hatte der Mann, der einen Hauptschulabschluss hat, als Staplerfahrer oder Paketkurier gearbeitet, oft hatte er gar keine Arbeit und war sogar zwischenzeitlich ein Jahr lang obdachlos. Die Waffen, die er im Darknet verkaufte, bezog er meist aus Tschechien, wo sein Kontaktmann ein Unbekannter mit dem Pseudonym „Hyena“ war. Von „Hyena“ hatte er wohl auch die Glock 17 erhalten, mit der David S. am 22. Juli 2016 neun Menschen tötete.