Er hat dem Attentäter die Waffe verkauft: Der Angeklagte Philipp K. vor dem Landgericht München I Foto: dpa

Neun Todesopfer, eine Stadt in Panik: Der Amoklauf eines Schülers hat im Juli 2016 München schwer getroffen. Der Täter erschoss sich selbst und kann nicht zur Verantwortung gezogen werden.

München - Er hat Zehntausende von Menschen in Todesangst und Panik versetzt. Er hat eine Millionenstadt über Stunden hinweg buchstäblich lahmgelegt. Am Ende hat er neun Unschuldigen das Leben und vier weiteren die Gesundheit geraubt: der Amoklauf vom 22. Juli 2016 in München. Nun ist das erste und wahrscheinlich einzig mögliche Urteil zu diesem Massenmord ergangen. Der 33-jährige Philipp K. wurde am Freitag vom Landgericht München I zu sieben Jahren Haft verurteilt. Das Urteil: fahrlässige Tötung in neun und fahrlässige Körperverletzung in vier Fällen. Der Angeklagte hatte dem Täter David S. die Mordwaffe und mehrere Hundert Schuss Munition verkauft. David S. selber, der 18-jährige rechtsradikale, rassistische, aber auch psychisch kranke Schütze, er konnte nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Er hatte sich noch am Tatabend, als Polizisten hinter ihm her waren, vor deren Augen selbst erschossen.

Der seit August laufende Prozess – mit 21 Verhandlungstagen doppelt so lange wie geplant – war in vielen Passagen ein Stellvertreterprozess: Die Angehörigen der Opfer, die der Verhandlung sehr emotional aufgewühlt folgten, sie wollten Sühne, Gerechtigkeit und sahen den Täter im Waffenhändler Philipp K. Selbst dem Vorsitzenden Richter unterlief es in seiner beinahe dreistündigen Urteilsbegründung zweimal, vom „Angeklagten“ zu sprechen, als er das Verhalten des doch toten Täters David S. beschrieb.

Der Richter sagt, Waffenhändler und Amokschütze seien Brüder im Geiste

Dabei war der Sachverhalt von Anfang an eindeutig und unstrittig. Der Marburger Philipp K. hatte zum Prozessauftakt auch noch ein umfassendes Geständnis abgelegt. Er, der arbeitslose Gelegenheitsjobber, hatte sich über vier Jahre hinweg den Lebensunterhalt durch illegalen Waffenhandel in den dunklen Zonen des Internets – im Darknet – finanziert. Auf ihn war auch David S. gestoßen, der seinen Anschlag über ein Jahr hinweg akribisch geplant hatte – mit voller Absicht auf türkischstämmige und südosteuropäische Jugendliche. Tödlich treffen wollte er jene, die ihn in der Schule gemobbt und auch körperlich attackiert hatten. Es traf im Münchner Olympia-Einkaufszentrum aber komplett Unbeteiligte, die für den Täter einfach nur irgendwie südosteuropäisch aussahen.

„Brüder im Geiste“, so hieß es beim Prozess mehrfach, seien K. und S. gewesen; auch der Richter hielt im Urteil fest, der Waffenhändler sei „ohne Zweifel rechtsradikal, Rassist und überzeugter Hitler-Anhänger“ gewesen. Gesinnung werde in Deutschland aber nicht bestraft, es komme auf die Taten an. So blieb als Hauptfrage: Wusste K., was mit der Waffe geplant war? Ist er also der direkten Beihilfe am Massenmord schuldig? Die Nebenkläger, genauer gesagt also die Rechtsanwälte der Angehörigen und Hinterbliebenen, drückten sehr stark auf diese Taste. Sie warfen Gericht und Staatsanwaltschaft vor, die Hintergründe nicht tief genug aufklären zu wollen oder gar rechtsradikale Komplizenschaften wie im Fall der NSU-Morde oder ähnlicher Verbrechen vertuschen zu wollen.

Der Händler fiel auf ein von der Polizei eingefädeltes Geschaft herein

Massiv wehrte sich der Vorsitzende Richter, Frank Zimmer, gegen diese Anschuldigungen. In seiner Urteilsbegründung gab er zurück: Die Anwälte hätten den Prozess „politisieren und instrumentalisieren“ wollen, so dass nicht einmal genügend Raum für die Angehörigen geblieben sei, sich mit ihrem Leid zu Wort zu melden. Im Urteil aber zeigte sich das Gericht überzeugt, K. hätte die Waffe, eine Glock 17, nicht an David S. verkauft, hätte er von dessen Plänen gewusst.

Allerdings: „Hätte K. nachgedacht, wäre die Tat für ihn vorhersehbar gewesen.“ So verhängte das Gericht nur beim Punkt „Fahrlässige Tötung“ beinahe die Höchststrafe für Philipp K. – erschwert auch noch deshalb, weil der 33-Jährige sogar noch nach der Münchner Gräueltat weiterhin Waffen im Darknet angeboten hatte. Beim von der Polizei eingefädelten „Verkauf“ an einen getarnten Polizeibeamten war K. vier Wochen nach München verhaftet worden. Er hatte eine durchgeladene Waffe im Holster dabei.

Während Angehörige äußerten, kein Urteil dieser Welt könne ihr Leid lindern, ist die Münchner Staatsanwaltschaft mit dem Spruch „sehr zufrieden“. So sagte es die Sprecherin Anne Leiding am Freitag. Das Urteil sei ein Signal an alle Darknet-Waffenhändler, dass auch sie zur Verantwortung gezogen würden. Das Gericht hatte mit den sieben Jahren Haft für Philipp K. fast zur Gänze dem Strafantrag der Anklagebehörde entsprochen.

Die Ermittlungsbehörden stuften in ihrem Abschlussbericht im März 2017 den Anschlag als politisch nicht motivierten Amoklauf ein. Der psychisch labile Täter habe auf Mobbing reagiert. Drei im Oktober 2017 veröffentlichte wissenschaftliche Gutachten (eines von der Stadt München in Auftrag gegeben) ordneten ihn dagegen als „politisch motivierte, rechte Tat“ ein, die folglich im Verfassungsschutzbericht aufzuführen wäre. Die Familie von David S. wurde aufgrund massiver Drohungen ins Opferschutzprogramm der Polizei aufgenommen.