Das Team der „Krake“ räumt auf. Foto: Steve Przybilla

Von der Ein-Mann-Armee zu Deutschlands größter privater Abfallsammelgruppe: Der Kölner Verein Krake sammelt Unrat ohne Ende – und betreibt sogar ein eigenes „Müllseum“.

Die „Rheinkrake“ hat wieder einen Fang gemacht: Plastikpackungen, „Coffee to go“-Becher, Glasflaschen und jede Menge Konfetti hängen in den Seilen der Plattform, die unweit des Kölner Doms im Rhein schwimmt. Fünf Männer und eine Frau, alle mit Schwimmwesten bekleidet, sortieren den Unrat. „Guck mal, ‘ne Flaschenpost!“, ruft Christian Stock (42), doch zum Lesen fehlt ihm die Zeit. Nachdem er die Fangkörbe gereinigt hat, muss er gleich weiter zum nächsten Termin: eine öffentliche Müllsammelaktion am Rheinufer.

 

Die schwimmende Plattform gehört dem Verein Krake, der größten privaten Abfallsammelgruppe Deutschlands. Vereinsgründer Christian Stock ist eigentlich Schauspieler. „Vor ein paar Jahren war ich Deutschlands meistgebuchtes Werbegesicht“, erzählt er stolz. „Ich habe für alles Werbung gemacht, ob Klosteine, Hundefutter oder McDonald’s.“ Die Initialzündung für sein umweltpolitisches Engagement kommt im Jahr 2015: „Bei Dreharbeiten in Nepal habe ich gesehen, wie die Menschen dort mit Müll umgehen“, erinnert sich Stock. „Da wird wirklich alles in den Fluss geworfen, und der Monsun erledigt die Müllabfuhr.“

Der Rhein spült jedes Jahr 380 Tonnen Plastikmüll in die Nordsee

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland sieht er seinen Wohnort mit anderen Augen. Zwar wabern keine Müllberge im Rhein und es gibt keinen Monsun. „Doch auch bei uns ist Umweltverschmutzung ein Riesenproblem“, sagt Stock. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) schätzt, dass der Rhein jedes Jahr 380 Tonnen Plastikmüll in die Nordsee spült – Abfälle von Schiffen, Industriebetrieben, aber auch von Privatpersonen. Der Unrat wird auf hoher See in immer kleinere Teile zerrieben, von Fischen gefressen und über die Nahrungskette wieder vom Menschen aufgenommen. Sogar in der Arktis haben Forschende inzwischen Mikroplastik entdeckt.

„Die Leute werfen wirklich alles weg“, sagt Stock. „Aber wenn du nur jammerst, wird’s auch nicht besser.“ Also beginnt er in seiner Freizeit zu sammeln: Plastikflaschen, Zigarettenstummel, Würstchen-Packungen – was man halt so findet am Rhein. Am Anfang sind ein Müllsack und eine Greifzange seine einzigen Begleiter. „Alleine macht die Arbeit aber wenig Spaß“, sagt Stock, weshalb er anfängt, sich zu filmen und die Videos ins Internet zu stellen. So findet er schnell weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Im Jahr 2018 organisieren sie bereits den ersten „Rhine Cleanup“ in Köln, eine Sammelaktion, die immer am zweiten Septemberwochenende stattfindet.

Besondere Fundstücke werden ausgestellt Foto: Steve Przybilla

Christian Stock ist es wichtig, nicht als Oberlehrer wahrgenommen zu werden. „Wenn jemand vor meinen Augen eine Kippe wegschmeißt, meckere ich nicht, sondern schenke ihm einen Taschen-Aschenbecher“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Die meisten Umweltsünder seien nicht böse, sondern einfach nur unreflektiert. Er selbst nimmt sich da nicht aus. Zu Silvester beispielsweise. „Früher habe auch ich wie ein König geböllert. Inzwischen sehe ich das ein bisschen anders, seit ich tonnenweise Raketenreste in der Natur finde.“

„Wir haben viele helfende Arme“

Seine lustige, unprätentiöse Art kommt gut an. Weil immer mehr Menschen bei den Müllsammelaktionen mitmachen, folgt 2020 der nächste logische Schritt, die Vereinsgründung. Nach ein paar Kölsch, sagt Stock, sei ihm die Idee der Krake gekommen: ein intelligentes Meerestier mit vielen Armen. „Genau wie bei uns“, sagt Stock. „Wir haben auch viele helfende Arme.“ Krake steht für „Kölner Rhein-Aufräum-Kommando-Einheit“ – ein bisschen militärisch, räumt Stock ein, aber das sei der Karneval ja auch. Er lacht über seinen eigenen Witz, Kölscher Humor.

Inzwischen ist die „Krake“ auf 400 Mitglieder gewachsen. Auch im Kölner Rathaus kommt das Engagement gut an. „Der öffentlich-rechtliche Entsorger kann nicht jede Fläche im Stadtgebiet bedienen und ist dankbar für ehrenamtliche Unterstützung“, heißt es aus der Pressestelle. Zwischen 20 und 40 Tonnen Abfall bergen die privaten Müllsammler jedes Jahr, und zwar nicht nur auf dem Wasser und neben dem Wasser, sondern auch unter Wasser. Mehrfach begibt sich Stock in den Rhein, um versunkene E-Scooter hochzuholen.

Klare Botschaft Foto: Steve Przybilla

Stock selbst ist weniger begeistert. Zwar kann er allein am Dom 39 E-Scooter innerhalb von zwei Stunden herausfischen. Doch er fühlt sich ausgenutzt. Die Betreiber hätten genug Geld und Mittel, um ihre Fahrzeuge professionell zu bergen. Stattdessen wälzten die meisten Firmen die Arbeit lieber auf Ehrenamtliche ab. Auch die Stadtverwaltung unterstütze den Verein nur punktuell. Die städtische Müllabfuhr stelle lediglich Arbeitsutensilien zur Verfügung und hole den Abfall etwa nach großen Aktionen ab. Die fröhliche Aura, die den Schauspieler umgibt, ist nun kurz verschwunden. Doch er fängt sich schnell wieder. „Stellenweise ist der Rhein schon viel sauberer geworden“, sagt der Umweltaktivist. „Unser Erfolg ist, dass sich niemand mehr zu schade ist, sich nach dem Müll anderer zu bücken.“

Nivea-Creme aus dem Jahr 1954 und Seifenblasen-Fläschchen von 1975

Was dabei alles zum Vorschein kommt, kann man im „Müllseum“ besichtigen, einem Museum, in dem der Verein einen Teil seiner Funde ausstellt. Ob Luftballons, Lachgaskartuschen oder Fischernetze: Im „Müllseum“ finden sich menschliche Hinterlassenschaften aller Formen und Farben. Auch Kuriositäten wie Nivea-Creme aus dem Jahr 1954 oder Seifenblasen-Fläschchen von 1975 sind darunter. Selbst Pornofilme und Sex-Spielzeug landen in den Greifzangen – der Verein stellt die Objekte in einem Nebenraum aus, zu dem Minderjährige keinen Zutritt haben. „Schließlich haben wir immer wieder Kinder zu Besuch“, sagt Stock, der regelmäßig Vorträge vor Schulklassen hält.

Bleibt die Frage: Was bringt’s? Christian Stock räumt ein, dass die Arbeit der „Krake“ angesichts der enormen Abfallmengen eher einen symbolischen Wert hat. „Natürlich ist jede Plastiktüte, die nicht im Meer landet, ein Erfolg“, sagt er. Weit wirkungsvoller wären seiner Ansicht nach aber Maßnahmen wie eine Verpackungssteuer und strengere Kontrollen der Behörden.

Die Psychologin Lea Dohm sieht hingegen durchaus eine positive Wirkung. „Wir wissen, dass wir in ökologischen Fragen dann viel wirksamer sind, wenn wir gemeinsam mit anderen aktiv werden“, erklärte die Expertin kürzlich in einem Interview beim Deutschlandfunk Nova. Aus Studien wisse man obendrein, dass diejenigen, die sich viel in der Natur aufhalten, diese auch automatisch schützen wollten. Ihr Fazit lautet daher: „Alle sollen Müll sammeln.“

Einer muss es ja machen

So viel Lob hört Christian Stock natürlich gerne. Ausruhen wird er sich darauf aber nicht, denn schon kommt die nächste Umweltsünde herbeigeschwommen. Nach jedem Starkregen fischt die „Rheinkrake“ kiloweise Mikroplastikkugeln aus dem Wasser. Stocks Verdacht: die heimische Kunststoffindustrie. „Da scheint es in der Produktion irgendein Problem zu geben“, sagt er, und fast scheint es, als freue er sich auf diese Herausforderung.

„Einer muss es ja machen“, sagt Stock und grinst. Der Krake entkommt niemand.